In der abendlichen Junisonne leuchtet das Gras im Garten smaragdgrün. Rosen und Linden duften. Frauen in Sommerkleidern trinken Kaffee auf der Terrasse einer Villa. Kinder spielen artig zwischen den Büschen und ein Mädchen posiert mit einem eleganten Pelzkragen. Man könnte meinen, dass sich hier die Damen der Gesellschaft versammeln, es sich bei Erdbeerkuchen gut gehen lassen, nachdem sie ihre Kinder aus dem Kindergarten abgeholt haben. Wäre da nicht die Sprache. Die Frauen und Kinder unterhalten sich auf Ukrainisch und die feinen Kleidungsstücke, die mit dem Pelzkragen auf einer Bank ausgebreitet liegen, sind Spenden für sie zum Mitnehmen. Sie Flüchtlinge, die wegen des Krieges ihre Heimat verlassen mussten. So wie ich.
Dies Willkommenscafé ist nicht an irgendeinem Ort eingerichtet. Es findet im Martin-Niemöller-Haus in Dahlem statt. Hier lebte und arbeitete der berühmte evangelische Pfarrer und Begründer der Bekennenden Kirche, die sich gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten aussprach. Von ihm stammt das bekannte Zitat: “Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen – ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen – ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen – ich war ja kein Gewerkschafter. Аls sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte”.
Die Kirchengemeinde Dahlem hat schon immer einen Schwerpunkt auf die Flüchtlingsarbeit gelegt, besonders seit der Flüchtlingskrise 2015 gab es viele Angebote und Hilfestellungen für Geflüchtete. Die Erinnerung an Niemöller verpflichtet. So viele Jahre sind vergangen, aber jetzt wiederholt sich erneut so vieles: Wieder Krieg und Flüchtlinge, und die Worte von Martin Niemöller sind wieder aktuell! “Die Menschen, die jetzt zu uns fliehen, sind quasi unsere Nachbarn. Das ist wahnsinnig nah an uns und berührt uns“ Esther von Boehmer, Lehrerin, engagiert sich in der Arbeit mit ukrainischen Geflüchteten in der Gemeinde und organisiert die Deutsch-Sprachlerngruppen. “Ich habe in letzter Zeit häufiger überlegt, was ich machen würde, wenn ich plötzlich nur mit meiner Handtasche in ein fremdes Land käme. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir jemand helfen würde! Auch schaue ich mich um und erkenne, wie unglaublich gut es uns geht. Ich habe in meinem Leben so viel Glück gehabt und kann hier was davon abgeben“, beschreibt sie. Auch berührt es, dass es vor allem Frauen und Kinder sind, die aus der Ukraine gekommen sind: „Wir haben nicht nur Verständnis, sondern auch die Kraft und die Energie, Menschen hier zu integrieren. Wir wollen ihnen eine Perspektive geben und ihnen in diesen Zeiten beistehen“.
Bereits fünf Tage, nachdem der Krieg in der Ukraine begonnen hatte, ging es los. Am Anfang gab es die Idee, mit einem Konvoi von Privatautos zur polnisch-ukrainischen Grenze zu fahren, Hilfsgüter hin- und Geflüchtete zurückzubringen. Die Pfarrerinnen Cornelia Kulawik und Tanja Pilger-Janßen starteten in der Gemeinde einen Aufruf, wer helfen und besonders Geflüchtete privat unterbringen könnte. Die Hilfsbereitschaft war umwerfend – es gelang sogar, statt der Privatautos einen Reisebus zur Grenze zu schicken.
Die Hilfe geht weiter
“Um ein Uhr in der Nacht kamen die Ukrainer nach über 10 Stunden Busfahrt am Gemeindehaus in Dahlem an. Sie waren völlig erschöpft und auch verängstigt, denn sie trafen mitten in der Nacht in einem fremden Land ein“, erinnert sich Lena de Maiziére, die damals mit dabei war und bis heute so etwas wie der Motor der Arbeit, der immer weiterläuft. Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern und mit voller Energie dabei. „Die Spendenbereitschaft war großartig, so dass wir jeder Familie etwas Bargeld für den Start und auch erst einmal eine Unterkunft in Familien der Gemeinde anbieten konnten“, ergänzen Anne Dietrich und Annekathrin Pentz aus dem Gemeindekirchenrat.
Als die Neuangekommenen untergebracht waren, stellten sich die Helferinnen die Frage: Wie kann man Menschen wieder aufrichten, denen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde? Sie organisierten Übersetzer, Psychologen, Ärzte, die auch Ukrainisch sprechen, Termine für Coronavirus-Impfung. Viele Ehrenamtliche engagierten sich, Deutschkurse wurden eingerichtet. Inzwischen gibt es acht eigene Sprachlerngruppen.
Es ist eine neue Struktur entstanden
Inzwischen gibt es viele Aktivitäten: Gleich mehrere Mutter-Kind-Gruppen treffen sich, andere Frauen gärtnern zusammen, denn das ist gut für die Seele. Im ehemaligen Pfarrhaus von Niemöller findet auch das wöchentliche Willkommenscafé statt. Hier gibt es neben Informationen zum Jobcenter und Sozialamt auch gemütliches Beisammensein und natürlich Erdbeerkuchen.
“Mit Kuchen kann man keinen Frieden schaffen, aber man kann alles ein bisschen erträglicher machen. Wir geben nicht nur, was unbedingt nötig ist, sondern sorgenfür schöne Momente“, so Ulrike Rücker: „Klar kümmern wir uns um Formalitäten und Anträge, aber es werden auch alle mit Kuchen und Kaffee begrüßt. Wir versuchen, ein bisschen Leichtigkeit mitzugeben.“ Über die Wochen und Monate sind Vertrauen und Freundschaften entstanden. “Inzwischen freue ich mich mehr und mehr auf die Freitage, an denen ich mich hier mit den ukrainischen Frauen unterhalten kann”, sagt Esther von Boehmer.
Es tut gut, etwas Sinnvolles tun
Gemeinsam mit Ulrike Rücker ist Katrin Greve die Organisatorin des Willkommenscafés. Am Freitag koordiniert sie die Kuchenspenden. So sind heute zehn Kuchen und Torten eingegangen und vier Helferinnen haben sich freiwillig gemeldet. Da ist Organisation gefragt. „Es ist auch für mich ganz persönlich eine gute Sache“, so antwortet Katrin Greve auf die Frage, warum sie in ihrer Freizeit hier hinterm Tresen steht: „Ich genieße an der Tätigkeit hier, gemeinsam mit allen anderen einen sinnvollen Beitrag in dieser Situation zu leisten.“. Ein weiterer positiver Effekt der Arbeit sei, dass die Gemeinde viel mehr zusammengewachsen sei. „Die neue Aufgabe tut uns gut!“, sagt sie.
Und wie geht es mir als ukrainischer Journalistin damit?
Wir stehen alle zusammen auf der sonnendurchfluteten Terrasse der schönen Villa, lachen und scherzen. Es ist schön, nicht, weil unsere Probleme sich dadurch auflösen, sondern, weil das Leben doch weitergeht. Ich bin auch Geflüchtete aus der Ukraine und erlebe jetzt die schwerste Zeit in meinem Leben. Doch in diesem Moment fühle ich mich in der Gemeinschaft mit diesen Frauen beschützt und ruhig: es gibt doch trotz allem Sonne im Leben: So, wie hier auf der Terrasse, und das ist übertragbar, denn ich fühle mich nun auch ein bisschen sonniger und fröhlicher.
Text und Fotos von Darka Gorova
Es ist eine von insgesamt zehn Erfolgsgeschichten, die Amal-Redakteur:innen im Rahmen des Projektes GOOD NEWS in Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf und gefördert durch die Flick Stiftung produziert haben. Weitere Beiträge – zum Teil als Text, zum Teil als Video – finden Sie auf dieser Seite.