Foto: Ahmad Kalaji

Ist es Neid?

Wir Syrerinnen und Syrer können nicht anders als mit den Ukrainer*innen zu sympathisieren, mit ihnen zu fühlen, schließlich kennen wir uns aus mit Barbarei und der Gewalt des Krieges. Die Bilder der zerstörten ukrainischen Städte erinnern uns an Bilder von Aleppo, Homs, Ghouta und anderen Städten, die vollkommen zerstört wurden. Die Solidarität, die wir überall sehen, erweckt ein Gefühl der Einheit und der Menschlichkeit. Auch wir fühlen uns angesprochen. Die Tatsache, dass mit dieser ukrainischen Tragödie in den Medien und von der Politik anders umgegangen wird, als beispielsweise mit der Krise in Syrien, kann uns nicht davon abhalten. Neid ist ein Gefühl, das hier fehl am Platz ist.

Seit die russische Invasion in der Ukraine begann, wird in den Medien intensiv darüber  berichtet. Das ist verständlich. Korrespondentinnen und Korrespondenten von renommierten Nachrichtensendern nutzten diese Gelegenheit jedoch auch, um Rassismus zu zeigen: Sie zogen Vergleiche zwischen ukrainischen Flüchtlingen und Flüchtlingen aus anderen Ländern. Es fielen Sätze wie: „Das sind keine Flüchtlinge aus dem Irak oder Afghanistan, das sind Ukrainer, relativ zivilisiert, aus einem europäischen Land“. Eine der Korrespondentinnen sagte: „Sie fahren Autos wie unsere, trinken Kaffee, lesen Zeitung. Das ist nicht Syrien. Das ist Europa“. Ein Reporter ging sogar weiter, machte Kommentare über die Haut- und Augenfarbe und erwähnte, dass diese Flüchtlinge Christen seien, keine Extremisten und Terroristen. Es kam einem vor, als hätten sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, um sich in der Öffentlichkeit rassistisch zu äußern, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Unzivilisiert und Rampenlicht stehlen

Rassistische Äußerungen und Diskriminierung lösten in den sozialen Medien eine Welle der Kritik aus. Das Hashtag #uncivilized wurde auf Instagram Trend. Menschen aus Syrien, Irak, Palästina und anderen Asylländern posteten Selfies mit diesem Hashtag. Auch ich teilte ein Bild und verwendete #uncivilized. Eine Frau – nennen wir sie zum Beispiel Britta – schickte mir daraufhin eine lange Nachricht: „Es herrscht Krieg, tausende Flüchtlinge sind auf dem Weg zu uns. Ich glaube nicht, dass das der richtige Zeitpunkt für diese Bewegung ist. Ein oder zwei rassistische Kommentare bedeuten nicht, dass ihr das Recht habt, den Ukrainer*innen das Rampenlicht zu stehlen“, schreibt sie.

Geh zurück in deine Heimat!

Ich fühlte mich persönlich angegriffen. Diese Frau kennt sicherlich nicht die Bedeutung von Krieg, weiß nichts über Asyl und Rassendiskriminierung. Ich antwortete ihr sofort, schrieb ihr, dass diese rassistische Haltung in erster Linie die beleidigten, die sie vertreten. Krieg ist keine Entschuldigung für Rassismus. Meine Nachricht kam allerdings nicht gut an. Sie schickte mir über 70 Nachrichten und Audioaufnahmen, um mir mitzuteilen, dass es tatsächlich viele unzivilisierte Flüchtlinge gäbe, zu denen ich nicht gehöre, da ich mit einer Deutschen verheiratet sei. Ich las vielleicht die ersten zehn Nachrichten und hörte ihre Audionachrichten. In einer sagte sie: “Wenn es dir hier bei uns nicht gefällt und die Menschen in deinem Land besser sind, warum kehrst Du nicht dahin zurück?“. Die restlichen Nachrichten habe ich weder gelesen noch gehört, denn es macht keinen Sinn darüber zu diskutieren.

Wir sind uns des Rassismus, den viele in ihrem Herzen tragen, durchaus bewusst

Ich war erstaunt und verwirrt, dachte mehrere Stunden darüber nach. Sollte man die rassistischen Kommentare ignorieren und auf das Ende des Krieges warten, um es dann zu thematisieren? Versuchen wir wirklich, den Ukrainern die Aufmerksamkeit zu stehlen? Nein, ich kam zu dem Schluss, dass es hier nicht um einen Wettbewerb der nach Deutschland geflüchteten und schon gar nicht um Neid geht. Um dem Thema auf den Grund zu gehen, habe ich mich mit einem Experten unterhalten, der sich auskennt mit der Frage von zivilisiert oder unzivilisiert sein.

Empathie ist positiv, aber..

Mustafa Karahamad, Doktorand an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) setzt die Debatte in den Zusammenhang zu der These von Samuel Huntigtons „Kampf der Zivilisationen“ . Zunächst einmal sieht er sieht die Parteinahme der Medien und die sehr positive Berichterstattung über die Geflüchteten aus der Ukraine als verständliche Haltung. Was die Empörung in den sozialen Netzwerken ausgelöst habe, sei der häufige Vergleich und das Betonen, warum die ukrainischen Geflüchteten so viel angenehmer seien als andere; das Hervorheben, dass sie zivilisiert, europäisch, weiß und christlich seien.

Eine Zivilisation, eine menschliche Rasse

Karahamad sieht darin eine Wiederbelebung des „Kampfes der Zivilisationen“ nach Samuel Huntington. Dabei hatten wir doch gehofft, dass wir diese zerstörerische Welterklärung hinter uns gelassen hätten. Huntingtons Theorie des Kampfes der Kulturen, das in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschrieben wurde, geht von dem Konflikt zwischen einer weißen, christlichen, westlichen Zivilisation und anderer Zivilisationen aus. Besonders heftig beschreibt er den Konflikt mit der sogenannten islamischen Zivilisation. Karahamad hält dieses Narrativ für sehr gefährlich, nicht weil es wissenschaftlich ungenau ist, sondern weil es zur Legitimierung von Konflikten verwendet wird. Genau dies zeige sich jetzt in der Berichterstattung und ihrer Tendenz, den Krieg in der Ukraine anders, als zivilisierter zu beschreiben als den beispielsweise in Syrien. Das habe Konsequenzen so Karahamad „Gefährlicher als die Theorie des Kampfes der Kulturen ist die Rückkehr zur Aufteilung der Menschen in Rassen, wie es die europäischen Länder während der Kolonial- und Nazizeit in den 1940er Jahren getan haben“, sagt er. „Zivilisation ist ein Prozess. Es gibt nicht verschiedene Zivilisationen, sondern eine, die sich entwickelt und die Menschen gehören nicht nur zu der einen Zivilisation, sie sind gehören auch zur gleichen Rasse mit verschiedenen Hautfarben“.

Wir müssen unsere Stimme erheben, bevor sich die Situation verschlimmert

Karahamad sieht allerdings nicht nur die rassistischen Vergleiche in den Medien kritisch, auch die zum Teil heftige Kritik daran in den sozialen Medien sei problematisch. Da seien wir einmal wieder in die Falle des Kampfes der Kulturen getappt. Das Gefühl, dass es einen permanenten Krieg zwischen Islam und dem Westen gibt, diene am Ende nur wieder den radikalen Gruppen auf beiden Seiten des Grabens. Nicht zuletzt stärke die islamistische Gruppen, die darin einmal wieder einen Beweis für die Existenz des Konfliktes und damit eine Rechtfertigung für ihren gewalttätigen Kampf sehen.

Das alles ändere aber nichts daran, dass er sich wundere sich über das Ausmaß an Rassismus und Diskriminierung, die Europäer gegen Minderheiten in Kriegs- und Krisensituationen akzeptieren. Er findet es wichtig, dass wir frühzeitig unsere Stimme erheben, bevor sich die Situation verschlechtert.

Die richtige Reaktion auf die aktuelle rassistische Parteinahme mancher Medine sei ein Drahtseilakt: Wie können wir einerseits den Rassismus offenlegen und kritisieren, ohne gleichzeitig dem ausgedienten Konzept des Kampfes der Kulturen neues Feuer zu geben, die radikalen Menschenverächter zu stärken und den Hass in der Gesellschaft zu schüren? Was helfen kann, ist sich Verbündete zu suchen. „Was mich wirklich verärgert“, beschreibt Karahamad: „Ist dass die deutschen Medienschaffenden zu diesem Thema derzeit noch stumm bleiben. „Wir haben von keinem einzigen Journalisten gehört, der nach seinen rassistischen Kommentaren zur Rechenschaft gezogen wurde“, sagt er. Das ist doch ein Ausgangspunkt. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte lasst uns mit diesem Thema nicht allein.

Ahmed Kalaji / Amal Berlin

Übersetzung: Karin El Minawi