Ist dies die erste Wahl einer neuen Zeit?

Samstag, 25.9.2021, 18:45 Uhr: Nur noch wenige Stunden, bis die Wahllokale öffnen und Amal geht live auf Sendung: Aus der Forum Factory streamen wir den abschließenden Amal, Salon! unserer Kampagne zur Bundestagswahl. Auf dem Podium: Eine interessante Mischung verschiedener Persönlichkeiten und Perspektiven. Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der Diskussion:

Kamera ab! Die Diskussion beginnt! Unser Thema heute Abend: Die Bundestagswahl in Deutschland und wir. Nie gab es so viele neue Wähler*innen. Menschen, also, die seit der letzten Bundestagswahl die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben und nun zum ersten Mal mit wählen dürfen. Noch größer ist die Anzahl von Menschen, die darauf warten, dass sie in den nächsten Monaten und Jahren zu Wahlberechtigten werden. Wie wirkt sich dies auf den Wahlkampf der Parteien, auf die Diskussion rund um die Wahl und auf das Stimmverhalten der alten und neuen Wähler*innen aus? Ist dies unsere Wahl? Haben wir überhaupt eine Wahl?

Moderator Omid Rezaee leitetet die Diskussion ein. Der freie Journalist hat im Iran bereits für verschiedene Medien gearbeitet und nach seiner Flucht nach Deutschland einige Jahre bei Amal, Berlin! als Redakteur und anschließend als Leiter der neuentstehenden Redaktion von Amal, Hamburg! gearbeitet. Inzwischen hat er sich als Autor und Moderator in Hamburg selbstständig gemacht.

Auf dem Podium beginnt die Diskussion mit Homa Amiri, die ist Frauen- und Menschenrechtsaktivistin aus Afghanistan. Seit vielen Jahren lebt sie in Deutschland, arbeitet als Übersetzerin und Lehrerin. In den vergangenen Wochen hat sie sich rund um die Uhr dafür eingesetzt, dass die Anliegen der afghanischen Frauen auch in Deutschland Gehör finden. Sie ist bei Demonstrationen in Berlin als Rednerin aufgetreten und hat sich auch im Privaten für Menschen in Afghanistan eingesetzt. „Was in Afghanistan passiert, ist eine Katastrophe und das geht uns alle an!“, sagt sie. Sie hofft darauf, dass die noch amtierende und die zukünftige Bundesregierung sich stärker in der Verantwortung sieht und den Menschen in Afghanistan hilft. Ihre Proteste verliefen parallel zum Wahlkampf. Allerdings habe das Thema leider nur eine sehr kleine Rolle in der Auseinandersetzung zwischen den Parteien gespielt. „Leider war Außenpolitik insgesamt gar kein großes Thema. Die Menschen hier in Deutschland interessieren sich für Jobs, soziale Gerechtigkeit und dass die Renten sicher sind“. Zwar gebe es inzwischen viele Afghan*innen mit Wahlrecht, aber sie seien noch nicht zu einem politischen Faktor geworden.

Ganz anders die Perspektive von Hussam Mujalli, Der erfolgreiche Anwalt in einer großen Wirtschaftskanzlei (Amereller) ist zum Studium aus dem Jemen nach Deutschland gekommen. Er kennt sich aus mit den Hürden, die Menschen überwinden müssen, bis die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. „Könnte diese oft sehr unangenehme Erfahrung mit dem deutschen Staat der Grund sein, weshalb Neueingebürgerte weniger häufig zur Wahl gehen?“, so die Frage des Moderators. „Ich glaube eigentlich, dass das kein Grund ist und auch kein Grund sein sollte. Ich denke, dass wir neuen Wähler und Wählerinnen uns bewusst sein sollten, dass die Beteiligung am politischen System unser Teil ist, den wir zur Gesellschaft beitragen können. Deswegen finde ich, dass es das Mindeste ist, was man machen kann, dass man zur Wahl geht“, entgegnet Hussam Mujalli. Er habe auch beobachtet, dass es in diesem Wahlkampf mehr Plakate und auch Programme gegeben hat, die in anderen Sprachen als Deutsch die Wähler*innen ansprachen. Besonders kleine Parteien hätten sich auf die neuen Wähler*innen eingestellt. „Und gibt es so etwas wie eine Arabische Stimme bei dieser Wahl?“, hakt der Moderator nach. „Nein, denn es gibt keine homogene Gruppe der Araber, die alle in einer Richtung wählen wollen. Außerdem wird dies von den Parteien nicht so wahrgenommen“. Er wendet sich dann noch einmal direkt an alle Wahlberechtigten mit arabischen Wurzeln: „Natürlich, jeder hat das Recht von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen oder eben auch nicht zur Wahl zu gehen. Man sollte aber auch an die denken, die gerne wählen möchten und es eben noch nicht dürfen. Es ist ja ein Privileg, dass man das Recht hat!“.

Um die, die noch nicht wählen dürfen, geht es in den Diskussionsbeiträgen von Sanaz Azimipour. Sie gehört zu den Gründer*innen der Kampagne „Nicht ohne uns 14 Prozent“, die sich für das Wahlrecht aller dauerhaft in Deutschland lebender Menschen einsetzt, egal, ob sie die Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht. „Wir leben dauerhaft in Deutschland und zahlen hier Steuern. Wir haben die gleichen Pflichten und sind von den Entscheidungen der Regierung betroffen, wie alle anderen auch. Da ist es nur gerecht, wenn wir mitentscheiden dürfen, wie wir regiert werden“, so ihr Argument. Sie hat eine intensive Kampagne hinter sich. „Wir haben viel erreicht und wir werden weitermachen, dass unsere Thema bis zur nächsten Wahl tatsächlich auf die Tagesordnung der Parteien kommt“, sagt sie.

Für Mamoon Aboassi hat der Wahlkampf bereits im Januar begonnen. Er ist in eine Partei eingetreten und hat für die Kandidat*innen an Infoständen gestanden. Zudem hat er sich mit seiner Initiative Neuwähler:in dafür eingesetzt, dass möglichst viele Menschen mit arabischen Wurzeln mit ausreichend Informationen versorgt wurden, um sich tatsächlich an der Wahl beteiligen zu können. „Viele Parteien haben sich ja in diesem Wahlkampf zu ersten Mal direkt auch auf Arabisch und in anderen Sprachen an Wähler*innen gewandt. Wir werden also bereits als Gruppe wahrgenommen. Das kann noch besser werden, aber es ist ein Anfang!“, beschreibt er und appelliert an die Neuangekommenen: „Egal, ob man seinen pass schon hat oder noch nicht: Man kann auf jeden Fall in Parteien eintreten und sich da am politischen Prozess beteiligen. Das ist besser, als sich immer nur zu ärgern, weil andere für einen entscheiden!“

 

Die Diskussion bildete den Abschluss der Amal-Kampagne zur Information von Erstwähler*innen, die in den letzten Jahren neu aus arabischen Ländern, Iran und Afghanistan nach Deutschland gekommen sind und nun das erste Mal wählen dürfen. Diese Kampagne wurde in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für Politische Bildung von Amal, Berlin! und Amal, Hamburg! durchgeführt.