Die Wahrheit braucht Tiefenschärfe

Die Wahrheit ist immer das erste Opfer des Krieges. Der Reporter Till Mayer hat den Krieg in all seinen Ausprägungen erlebt: Er hat über bewaffnete Konflikte in Dutzenden von Ländern auf der ganzen Welt berichtet. Er war in den Schützengräben der Soldaten und in den Städten an der Front unter Beschuss. Sein aktueller Schwerpunkt ist die Ukraine. Till Mayer hat das Land lange vor dem Krieg im Frieden erlebt und berichtet nun monatlich darüber, wie es sich gegen die russische Aggression wehrt. Im Interview mit der Journalistin von Amal Frankfurt Viktoriia Chernykova-Berezdetska erklärt er, warum Demokratie und Freiheit in Deutschland und Europa von diesem Krieg abhängen und was die Deutschen von der Ukraine verstehen sollten.

 

 Seit über 20 Jahren arbeiten Sie im Bereich militärischer Konflikte, Kriege und Krisen. Warum haben Sie dieses Thema und diesen Bereich gewählt? In welchen Ländern und über welche Kriege haben Sie geschrieben?

 Es dürften mittlerweile rund 30 Kriege und Konflikte gewesen sein – vom Kongo bis in den Irak. Ich arbeite anders als die üblichen Kriegsreporter und -fotografen. Meist berichtete ich von Konflikten, wenn diese aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Die Journalisten wieder das betroffene Land verlassen haben. Aber das Leid der betroffenen Menschen geht ja trotzdem weiter. Gerade dann ist es wichtig, diesen Menschen mit meiner Arbeit eine Stimme geben. Menschen, denen Unrecht geschieht, wollen gehört werden.Sie haben ein Recht darauf.

In der Ukraine begann ich 2017 den Krieg im Donbas als Langzeit-Projekt zu dokumentieren. 2016 dreht ich in Kyjiw eine Dokumentation mit einem guten Freund: Pirmin Styrnol. Das Thema waren traumatisierte Kinder aus dem Donbas. Der Krieg im Donbas, er fand im Herzen von Europa statt. In meiner Heimat Deutschland war er weitgehend verdrängt. Das empfand ich als sehr gefährlich.

 

Worüber haben Sie bei Ihrem ersten Besuch in der Ukraine berichtet? Welchen Eindruck hatten Sie damals von dem Land?

 2007 portraitierte ich KZ-Überlebende in Lwiw und Umgebung für ein Buch und eine Ausstellung. Es gab dort ein kleines Rotkreuz-Projekt für diese tapferen Menschen. Diese Reise prägte mich. Die Ukraine lernte ich über die Vergangenheit kennen. Ich sah, was mein eigenes Land einst Menschen aus der Ukraine antat. Ich verstand wie fundamental ein einiges und freies Europa für eine friedliche Zukunft ist.

Und begann mich mehr und mehr für die Geschichte der Ukraine zu interessieren. Das war wichtig, denn das Wissen über die Hintergründe sind fundamental: Wenn man zum Beispiel heute den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verstehen will. Die Ukraine wuchs mir bei weiteren Recherche-Reisen immer mehr ans Herz, auch weil ich immer so viel Unterstützung vor Ort erfuhr.

Einige meiner Reportagen brachten viele Spenden ein, so dass ich mithelfen konnte, ein kleines Projekt für alte Menschen in Not in Lwiw aufzubauen. Hier engagiere ich mich weiterhin ehrenamtlich seit rund 15 Jahren. In all den Jahren sah ich auch, wie sich das Land veränderte. Die Menschen Freiheit und Demokratie einforderten. Dafür bereit waren zu kämpfen. So wie sie heute immer noch in einer schwer zu ertragenden Weise tun müssen.

 

Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass Russland in Kürze die Krim annektieren würde und der Krieg im Donbas in der Ukraine ausbrechen würde?

 Wie viele Deutsche unterschätzte ich vor 2014 den russischen Imperialismus, Putin unabdingbares Streben nach einem Großreich. Als ich 2017 die endlosen Schützengräben im Donbas sah, war ich erschrocken. Das war kein eingefrorener Konflikt, sondern ein vor sich hinköchelnder Stellungskrieg mit Toten und Verwundeten. Bei anderen Aufträgen in Afrika sah ich den wachsenden Einfluss Russlands. Etwas Bedrohliches war weltweit in Bewegung geraten. Und es nimmt heute in erschreckender Weise immer mehr an Fahrt auf. Schon 2017 schrieb ich in meinem Buch „Dunkle Reisen“, dass wieder ein großer Krieg droht.

 

Haben Sie den Warnungen ausländischer Geheimdienste geglaubt, dass Russland in größerem Maßstab in die Ukraine einmarschieren würde? Wie haben Sie sich gefühlt, als es tatsächlich passierte?

 Als Putin in einem Essay im Sommer 2021 der Ukraine letztlich ihre Staatlichkeit absprach, befürchtete ich Schlimmes. Mitte Februar 2022 wartete ich zusammen mit meinem ukrainischen Kollegen Oles Kromplias in Pisky nahe Donezk auf den Beginn der Invasion. Dann musste ich wenige Tage später für einen Auftrag nach Afghanistan. Als ich in Kabul landete, begann am gleichen Tag die Invasion in der Ukraine. Ich kehrte in die Ukraine zurück, so schnell es mir möglich war.

 

Was war Ihr erster Bericht über den großen Krieg in der Ukraine? Hatten Sie Angst, als Sie damals in die Ukraine reisten?

 Nachdem ich meinen Auftrag in Afghanistan umgesetzt hatte, reiste ich direkt in die Ukraine. Das war dann Anfang März 2022. Ich habe nie Angst bei meinen Einsätzen, aber stets Respekt vor der Situation. Die war natürlich jetzt eine völlig andere. Es ging Beispielsweise bald nach Kyjiw. Die Stadt war gespenstisch leer und still, außer den Geräuschen des Kriegs. Niemand wusste, kann die Hauptstadt gehalten werden. Jetzt, Anfang 2025, frisst sich die russische Militärmaschinerie Stück für Stück im Donbas vor. Ganze Städte und Dörfer werden ausgelöscht.

Es ist ein unbarmherziger Vernichtungskrieg, denn Russland führt. Es schmerzt mich, das zu sehen. Ich befürchte, zum Kampf gibt es keine Alternative. Diktatoren wie Putin geben keine Ruhe. Er hat einen Plan und davon wird er sich langfristig nicht abbringen lassen. Er muss in seine Grenzen gewiesen werden. Putin versteht nur Stärke. Kompromiss bedeutet Schwäche für ihn. Putin kennt keine Roten Linien. Daher überzieht er die Ukraine mit einem Krieg, denn es in Europa seit 1945 in dieser Art nicht mehr gegeben hat. Mit Artilleriebeschuss werden ganze Städte und Dörfer dem Erdboden gleich gemacht. Millionen einschlagende Granaten pflügen ganze Gebiete um. Diese Art von Krieg gibt es derzeit wohl an keinem anderen Ort auf dieser Welt.

 

 Jetzt reisen Sie jeden Monat in die Ukraine.  Wie ist Ihre Arbeit dort aufgebaut?

Ich habe das Glück mit einem guten Freund zusammen zu arbeiten: Mit dem ukrainischen Fotografen Oles Kromplias dokumentiere ich seit 2017 zusammen Krieg in der Ukraine. Für meine deutschen Leserinnen und Leser versuche ich bei jeder Reise je eine Reportage aus dem Kampfgebiet und eine aus dem Hinterland mitzubringen: zum Beispiel über Drohnenpiloten, die 1,5 Kilometer vor den russischen Linien operieren und eine Kriegerwitwe, die in Kyjiw um ihren Mann trauert. Ich will zeigen, der Krieg greift den Menschen in der ganzen Ukraine ins Herz. Er betrifft alle. Nicht nur in den umkämpften Gebieten.

Bei meiner Arbeit gehe ich auch ein Risiko ein. Es ist ungleich kleiner als das der Menschen, über die ich berichte. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer über den Krieg in der Ukraine berichtet und nie das Pfeifen einer Granate gehört hat, macht seinen Job nicht richtig.

Privat

 

Wie wählen Sie Ihre Themen und Protagonisten aus? Wofür interessieren sich die deutschen Leser, wenn es um die Ukraine geht?

 Ich erzähle den Krieg anhand der Menschen, die ihn erleben. Oles und ich haben beide ein gutes Netzwerk. Manche Reportagen entstehen aus Empfehlungen von Freunden, andere passieren einfach vor Ort. Auch über Empfehlungen meiner Instagram- und Facebook-Follower kam es schon zu Reportagen. Mir ist wichtig, dass sich meine Leserinnen und Leser mit den Protagonisten meiner Geschichten identifizieren können. Es geht um Menschen in diesem Krieg, nicht um Zahlen. Ich erzähle von Mut, Trauer und Tapferkeit und setzte schnelllebigen Meldungen Tiefgang entgegen.

 

Was sind Ihre liebsten/wichtigsten Berichte oder Fotos aus der Ukraine? Welche Geschichten sind bei Ihnen besonders hängen geblieben?

 Im Frühherbst 2022 portraitierte ich in einem gerade befreiten Dorf bei Kupiansk eine Mutter, die gerade aus lauter Verzweiflung ihren Sohn in einem Granattrichter vor ihrem Haus begraben hatte. Russische Soldaten hatten ihn getötet. Die Ruinen rauchten noch, am Straßenrand lagen in Bodybags gefallene russische Soldaten. Ukrainische Truppen rückten eilig vor. Es war ein grausamer, harter Tag. Das Interview mit Jelena werde ich nie vergessen. Sie wollte Gerechtigkeit für ihren Sohn. Mit mir zu sprechen, muss ihr unendlich viel Kraft gekostet haben.

Bis heute bin ich dankbar, dass ich die Befreung von Cherson erlebte. Die Menschen standen am Straßenrand, manche weinten vor Erleichterung und Freude. Ich durfte Geschichte erleben. Und was für ein Anlass! Das war ein unglaubliches Geschenk. Bei einer späteren Reise interviewte ich einen Folterüberlebenden in Cherson. Es ist unfassbar, was dieser Mann durchstand.

 

Warum Schwarz-Weiß?

 

 Die Fotos, die Sie auf Ausstellungen zeigen, sind in Schwarzweiß. Warum ist das so?

 Ich fotografiere in Farbe, da meine Kunden – Zeitungen,  Magazine und Internetportale – Farbfotos verlangen. Für eigene Projekte, wie Bücher und Ausstellungen, arbeite ich mit schwarz-weiß Bildern. Für mich konzentrieren sie den Blick auf das Wesentliche. Farbe kann ablenken. Ein Freund von mir, Christian Seuling, layoutet meine Bücher. Er hat als Grafiker viele Jahre in Japan gearbeitet. Seine minimalistische Designsprache passt zu den Bildern und sorgt respektvoll dafür, dass die Menschen auf den Bildern im Mittelpunkt stehen.

Mein neuestes Buch „Europas Front – Krieg in der Hilfe“ ist das dritte in einer Reihe: „Donbas – Europas vergessener Krieg“ (2019) und „Europas Front – Krieg in der Ukraine“ (2022). Es ist jetzt auch auf Ukrainisch gerade im Dukh i Litera-Verlag mit Unterstützung der deutschen Botschaft in Kyjiw erschienen. Das Layout ist das gleiche wie bei der deutschsprachigen Variante. Mit der ukrainischen Ausgabe ging ein Herzenswunsch von mir in Erfüllung. Es war mir aus vielen Gründen sehr wichtig. Ich bin gespannt, wie das ukrainische Publikum das Buch aufnimmt.

 

 Wenn Sie von Deutschen gefragt werden, wie die Ukraine ist, was antworten Sie dann? Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, was die Deutschen über die Ukraine erfahren sollten?

 Ich sage ihnen, dass die Ukraine ein Land ist, in dem die Menschen tapfer für ihre Freiheit kämpfen. In einem Krieg, der ihnen aufgezwungen wurde und ihnen Unerträgliches abverlangt. Dass die Ukraine ein Land ist, an dessen Zukunft ich dennoch fest glaube, weil ich an die Menschen der Ukraine glaube. Ich versuche meinen Landsleuten zu erklären, dass der Ausgang des Kriegs in der Ukraine das Schicksal für ganz Europa bestimmt. Die Soldaten an der Front in der Ukraine verteidigen auch meine Freiheit in Deutschland. Dafür bin ich dankbar. Leider verstehen das viele Deutsche nicht. Das Verdrängen beginnt wieder. Dagegen kämpfe ich an. Das ist meine Aufgabe.

 

Kriegsreporter und Kriegsgewinnler?

 

Sie sind einer der wenigen deutschen Journalisten, die schon seit langem über die Ukraine berichten. Nach 2022 ist es zu einem Trend geworden, dass einige das Thema Ukraine offen schmarotzen. Haben Sie das bei Ihren Kollegen bemerkt und wie stehen Sie dazu?

 Ich will nur sagen, was für mich als Journalist wichtig ist. Bereit sein sich über Jahre mit einem Thema zu beschäftigen. Leider nimmt diese Bereitschaft immer mehr in den Medien ab. Es wird zunehmend nur schnell und oberflächlich erzählt. Doch die Wahrheit braucht Tiefe, sie braucht Platz um respektvoll erzählt zu werden. Denn sie hat meist viele Seiten. Es ist mir eine Ehre, aus der Ukraine zu berichten. Ich bin den Menschen dankbar, die mir ihre Geschichten geben. Oft bereitet ihnen das Erzählen Schmerzen. Dennoch öffnen sie mir ihre Türen. Vielleicht auch deshalb, weil sie spüren, dass ich es ernst mit ihnen meine. Das sind wertvolle Geschenke für mich. Ich habe in der Ukraine alles gefunden, wofür es sich zu kämpfen lohnt.

 

Die Situation an der Front ist jetzt sehr kompliziert, und die Ukraine wird unter ungünstigen Bedingungen zum Frieden gedrängt. In Deutschland gibt es immer mehr Anhänger derjenigen, die vorschlagen, mit Putin zu verhandeln und weiterhin billiges russisches Gas zu beziehen. Nach Ihrer Meinung, welche Folgen wird die Niederlage der Ukraine für Deutschland haben?

 Eine Niederlage der Ukraine droht mittelfristig zu einem europaweiten Krieg zu führen. Putin will mehr als nur die Ukraine. Er will die Balten-Staaten, Teile Polens, Georgien, Moldawien und die Vormacht in ganz Europa. Wir leben in einer Zeit, in der sich entscheidet, ob Demokratie und Freiheit noch Zukunft haben. Beides sind ist kein Geschenk, sie müssen erkämpft und immer wieder verteidigt werden. Freiheit  muss für alle Menschen gelten. Wer das nicht versteht, versteht die Freiheit nicht. Niemand darf zurückgelassen werden. Sonst wird es sich rächen. Denn ohne Freiheit ist alles nichts. Nur Menschen, die trotz aller Unterschiede und verschiedener Sichtweisen respektvoll füreinander einstehen, können in Freiheit leben. Im System Putin ist das nicht möglich. Es ist das Gegenteil der Freiheit.

 

Im Vorfeld der Bundestagswahl ist die Ukraine zu einem der zentralen Themen von Wahlprogrammen und Wahlkampf geworden. Was denken Sie, wie wird das zukünftige deutsche Parlament aussehen, wird es auf der Seite der Ukraine stehen?

 Die Regierung wird auf der Seite der Ukraine stehen. AfD und BSW werden nicht Teil der Regierung sein. Doch es ist notwendig immer und immer wieder daran zu erinnern, was der Krieg in der Ukraine für ganz Europa bedeutet. Denn in ganz Europa erstarken rechtsextreme Parteien, auch und gerade dank der massiven Unterstützung Putins. Es sind die Totengräber der Demokratie. Ihre Engstirnigkeit und ihre Lügen führen letztendlich immer zu neuen Kriegen.

 

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