Dass etwas anders ist, bemerke ich sofort: Die Atmosphäre der kleinen Stadt ist geprägt von Angst und Misstrauen. Vor allem, es sind kaum Migrant:innen auf der Straße zu sehen und schon gar keine Menschen aus Afghanistan. Wie geht es Ihnen? Das ist die Frage, die mich hergebracht hat, aber es ist nicht leicht, Antworten zu finden. Die Afghan:innen von Aschaffenburg haben sich zurückgezogen.
Hier in Aschaffenburg sind die Menschen noch immer unter Schock. Am Tatort, dort wo vor zwei Wochen Enamullah O., ein psychisch kranker Mann aus Afghanistan eine Kindergartengruppe angriff, ein Kind und einen Erwachsenen tötete und viele verletzte, liegen noch immer Blumen. Passanten halten inne. Manche bleiben einen Moment stehen. Diese Tat hat Aschaffenburg und seine Bewohner geschockt und dem Wahlkampf in Deutschland einen neuen Dreh gegeben, der viele beunruhigt.
Nach einer Weile finde ich zwei afghanische Taxifahrer. Sie wollen nicht namentlich genannt werden und auch lieber nicht auf einem Foto veröffentlicht werden. Sie beschreiben, dass sie das Gefühl haben, dass man ihnen mit Misstrauen begegnet. Gerade von Behördenseiten, aber auch die Fahrgäste beäugten sie mit einer Mischung aus Angst und Verachtung. Die beiden machen sich Sorgen, dass womöglich andere Probleme auftreten könnten. Derzeit schwelen Konflikte zwischen der arabischen und der afghanischen Community. Da könne man nur hoffen, dass diese nicht in Gewalt ausbrechen. Die Nerven liegen blank.
Wieso durfte ein Mann mit so einer Vorgeschichte sich frei bewegen?
Dabei teilen die beiden das Entsetzen der allgemeinen Öffentlichkeit und können auch nachvollziehen, weshalb der Angriff von Aschaffenburg ganz Deutschland beschäftigt. Wie kann es sein, das sein Mann mit einer solchen Vorgeschichte sich frei bewegen darf. Wieso hat ihn niemand rechtzeitig gefasst?
Mein nächster Gesprächspartner ist ein junger Mann aus der afghanischen Stadt Laghman. Seit einem guten Jahr lebt er in Aschaffenburg und arbeitet bei Amazon. Ich treffe ihn im afghanischen Supermarkt. Ihn macht die Situation sehr traurig. Der Schock ist ihm anzumerken: „Wenn ein Kind stirbt, dann ist es so, als wären wir alle tot“, sagt er. „Meine Botschaft an die jungen Menschen aus unseren Ländern : Ihr kommt her, um zu arbeiten, um zu leben, um Freiheit zu haben und zu studieren. Haltet euch fern, von solchem Übel!“
Die Afghan:innen von Aschaffenburg sind unsichtbar geworden
Javid, ein Taxifahrer, der seit zehn Jahren in Aschaffenburg lebt und die Stadt in und auswendig kennt, sieht hingegen eine Mitschuld bei den Behörden und der Polizei: „Ein Mann mit dieser Vorgeschichte, wie der Täter, der über uns alle diese Probleme gebracht hat, wieso lässt man ihn frei herumlaufen?“ Er beschreibt, wie sich Aschaffenburg seit der Tat verändert hat. Die Afghan:innen, die sonst an einem bestimmten Ort in der Nähe des Bahnhofs ihren Treffpunkt hatten, an dem sie zusammenkamen, wenn sie ihre Einkäufe in den internationalen Supermärkten dort erledigt hatten, sind nun nicht mehr zu sehen. Auch Migrant:innen anderer Herkunft seien aus dem Straßenbild weitgehend verschwunden.
Aschaffenburg ist eine kleine Stadt und in der afghanischen Community kennt man sich. Es dauert also nicht lange, bis ich einen Mann finde, der mir über Enamullah O. erzählen kann. „Er war drogenabhängig und hing immer im Park herum“, erzählt ein junger Mann, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will. Er erzählt von einem Video, das kursiert. Es zeige Enamullah O. wie er mit einem Messer bewaffnet einen Mann aus Somalia angreife. Natürlich frage ich sofort nach dem Video, will die Behauptung überprüfen, doch der Junge Mann schüttelt den Kopf. Gemeinsam mit einigen anderen afghanischen Männern besteigt er den Linienbus. Hier komme ich erst einmal nicht weiter, dafür habe ich mir noch einmal die Geschichte erzählen lassen, wie Enamullah O. nach Aschaffenburg kam und wie er zum Täter wurde. Da wundert es nicht, dass in der afghanischen Community in Aschaffenburg viele entsetzt sind: Wieso hat ihn niemand gestoppt?
Er habe selbst darum gebeten, endlich abgeschoben zu werden
Enamullah O., 28 Jahre alt, soll zuvor in Frankreich gelebt haben. Dort habe er aber keinen Flüchtlingsstatus gehabt und lebte ohne Papiere. In Deutschland stellte er dann einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Daraufhin habe er die Behörden darum gebeten, nach Afghanistan zurückzukehren. Mehrfach, so erzählt man sich in der afghanischen Community, habe er gesagt, dass er nicht versteh, weshalb man ihn nicht zurückbringe. Er sei müde und frustriert gewesen. Er nahm immer mehr Drogen und verbrachte die meiste Zeit auf den Bänken im Park. Manchmal gab es Ärger, immer wieder sei Enamullah O. wegen seiner Gewaltausbrüche aufgefallen und in der Unterkunft, wo es auch zu der Messerattacke auf den Flüchtling aus Somalia kam, machten viele einen Bogen um ihn.