09/11/2024

„Es war richtig, 2015 die Grenzen zu öffnen!“

„Es war richtig, 2015 die Grenzen zu öffnen!“

Wann haben Sie das letzte Mal mit einer Person gesprochen, die diesem Satz aus vollem Herzen zustimmt? Und wie ist es mit Ihnen selbst? Wie sehen Sie rückblickend die Entscheidung? Wäre uns nicht viel erspart geblieben, wenn es anders gekommen wäre? Wäre Deutschland damals bei seinem althergebrachten Kurs der Abschottung geblieben, wären die Rechtspopulisten vielleicht heute nicht so stark, die innenpolitischen Auseinandersetzungen nicht so heftig und die Haushaltslage vielleicht weniger angespannt. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Klar ist aber, dass in der hitzigen Debatte gerade jetzt die positiven Auswirkungen der Migration aus dem Blick geraten. Das gilt nicht nur für die Mehrheitsgesellschaft, der vielleicht gerade noch Falafel und Shisha als positive migrationsbedingte Ergänzungen ihres Alltags einfallen.

Die negative Stimmung zeigt sich auch bei vielen, die 2015 aus Syrien gekommen sind. Gerade neulich hat unser Kollege Ronnie Darwish in einem Reel darüber geklagt. „Wir haben so viel getan, um uns zu integrieren. Uns fällt gar nichts mehr ein….und unsere Kultur, die Anwesenheit von so vielen Syrern und Syrerinnen in Deutschland schlägt sich nicht im gesellschaftlichen Leben nieder“.

Das ist Quatsch

In diesem Newsletter wollen wir aus diesem Kanninchenbau-Tunnel-Modus herauskommen. Ein Blick auf die Spielpläne der deutschen Bühnen, die Konzertprogramme, Museen und Galerien zeigt: Es hat sich viel verändert und die Spuren der Migration sind im Kulturleben nicht zu übersehen. Darum geht es im Videointerview, dass Ronnie Darwish (ja, genau der. Siehe oben) mit dem bekannten Frankfurter Theatergründer und -regisseur Willy Praml gemacht hat. Der 84-jährige Theatermann erzählt dem knapp 60 Jahre jüngeren Journalisten, wie sein Theater 2015 begonnen hat, eine Schauspieltruppe mit Geflüchteten aufzubauen, die bis heute erfolgreiche Theaterproduktionen machen. Er erzählt auch, wie nah er sich als Kriegskind den Geflüchteten fühlt und er erinnert an die Tage im Herbst 2015. Von ihm stammt auch der Satz, den wir für diesen Newsletter als Schlagzeile verwenden: „Es war eine richtige Entscheidung von Frau Merkel, die Grenzen zu öffnen“.

Das Interview ist auf Deutsch mit arabischen Untertiteln. Nehmen Sie sich die Zeit, dem Dialog zwischen Willy Praml und Ronnie Darwish zuzuhören. Es lohnt sich.

https://youtu.be/ij6SHIPoxow?si=PCeiCa0QMSsYD_GD

Video von Ronnie Darwish

Was bleibt von der Ukraine übrig?

Diese Frage wollen wir nicht im militärischen Sinnen beantworten. Es soll auch nicht darum gehen, wie ein Frieden aussehen könnte und wie er erreicht werden kann. Wir beschäftigen uns ja heute mit Kultur und wie sich die deutsche Kulturlandschaft durch Migration verändert. Gerade, was die ukrainische Kulturszene angeht, ist dieser Herbst spektakulär. Viele neue Produktionen, Projekte, Ausstellungen. Von politisch-wachrüttelnd über glamourös bis zu nachdenklich-menschlich reicht das Spektrum. Wir stellen hier stellvertretend drei Beiträge vor:

Düsseldorf

Politisch-wachrüttelnd

„Was geht mich fremdes Leid an?“ so der Titel eines Ausstellungsprojektes der Gruppe Bridgeworks in Köln. Mit Postern wenden sie sich an Passante:innen im Stadtraum und in einer Unterführung bieten sie zufällig Dahergelaufenen die Möglichkeit, mit Personen in Charkiw zu telefonieren. Luftalarm im Hintergrund inklusive.  Darka Gorova berichtet für Amal.

Glamourös

Vergangene Woche lud die Stadt Frankfurt zur Ukraine-Gala in den historischen Saal im Palmengarten ein. Das Who-is-Who der Stadt und der ukrainischen Community feierte die ukrainische Kultur und sammelte Geld für Kriegskinder in Charkiw. Viktoriia Chernykova-Berezdetska war dabei.

Nachdenklich-menschlich

Bei diesjährigen Gogolfest ging es um Mütter und Krieg. Genauer gesagt: Es ging um Briefe und Nachrichten, die Mütter von ihren Söhnen bekommen, die im Krieg sind. Das besondere an der Theaterproduktion war jedoch, dass sie überhaupt stattfand. Das 2007 begründete Kulturfest von Sapoischschja fand nach einer längeren Pause im Oktober zu ersten Mal wieder statt. Zuerst in einem Bunker in Sapoischschja und anschließend in Lüneburg. Darka Gorova hat darüber berichtet.

Gogol
Viele Grüße vom Amal-Team
Fotos: Ronnie Darwish, Bridgeworks, Gogolfest