Gedenken an Hanau – Gerade Jetzt!

Vergangene Woche bin ich mit meinem Kollegen nach Hanau gefahren, um eine Video-Reportage zu drehen. Der Anschlag von Hanau hat damals Deutschland erschüttert. Ganz besonders geschockt waren Menschen wie mein Kollege und ich, die wir als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind. Der Anschlag hat uns das Wichtigste geraubt, das uns Deutschland geboten hat: Sicherheit.

Gedenken an Hanau – Gerade Jetzt!

 

Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir uns an das erinnern, was am 19.Feruar 2020 in der kleinen Schischa-Bar am Heumarkt geschehen ist. Gerade jetzt? Ja, denn gerade jetzt erleben wir, dass der Rassismus in Deutschland zunimmt. Über die große Begeisterung, darüber, dass derzeit so viele Hunderttausende zu Demonstrationen gegen Rechts und für die Demokratie auf die Straßen gehen, wird leicht übersehen, dass die Enthüllungen über die geheimen Machenschaften der AfD und anderer rechter Gruppen auch noch eine andere Welle ausgelöst haben: Eine besonders bösartige Welle von Hass und Rassismus.

Vor ein paar Tagen ging ich in ein Café. Es war morgens, gerade hatte ich meine Kinder in die Kita gebracht. Das Café war voll und so fragte ich eine ältere Frau, die alleine saß, ob ich mich mit an den Tisch setzen könne. Die Antwort die Frau war unerwartet. Vor Wut zitternd brachte sie ihren Kopf nah an mich heran und sagte mit leiser Stimme, damit niemand sonst es hören sollte: „Unser ganzes Land steht zu Ihren Diensten. Unser gesamtes Eigentum ist in Ihrer Tasche. Ja, du kannst sogar auf meinem Kopf sitzen“. Ich stand auf und trank meinen Kaffee an der Theke. Ich konnte mich in der Situation nicht wehren. Wahrscheinlich, weil in der afghanischen Kultur Respekt vor Älteren so wichtig ist.

Das ist eine kleine Begebenheit. Eine von vielen. Unter der Oberfläche dieses Landes verbirgt sich ein komplexes Geflecht von schlechten Gefühlen. Einwohner mit Migrationshintergrund finden sich oft am Rande der Gesellschaft wieder. Nur selten treten sie vor, um sich zu verteidigen oder rassistische Vorfälle zu melden. Ich erlebe ständig so etwas und gerade jetzt ist es besonders schlimm.

Mit diesen Erlebnissen im Kopf fuhren wir nach Hanau und trafen dort Cetin Gültekin zum Interview. Sein Bruder ist unter den am 19. Februar 2020 Ermordeten. Cetin Gültekin hat ein Buch geschrieben: „Geboren, aufgewachsen und ermordet in Deutschland“ heißt es. Gerade rechtzeitig zum vierten Jahrestag des Anschlags ist es erschienen.

Eigentlich, so sagt er, habe er nie ein Buch schreiben wollen, aber er konnte nicht anders. Damit der Tod seines Bruders nicht umsonst war. Die Tat verfolge ihn und die anderen Angehörigen noch immer. „Der Täter hat uns da getroffen, wo wir uns sicher fühlten. In Hanau.“, sagt er: “Ich kenne Familien, die machen jeden Abend ein Handtuch nass, legen es unter den Türspalt. Für den Fall das jemand Feuer legt. Nur so können sie schlafen”, erzählt er. Der Anschlag in Hanau liegt vier Jahre zurück. Doch die Angst ist noch da. Deswegen ist es gerade jetzt wichtig, über Rassismus zu sprechen. Er frisst uns auf.

Der Kommentar von Sona Sahar ist auch bei Chrismon.de erschienen

Das Video von Sona Sahar und Ronnie Darwish wurde auch bei evangelisch.de veröffentlicht.