In diesem Jahr stellt die Bischofskonferenz der ukrainischen Kirchen den Gläubigen frei, wann sie Weihnachten feiern wollen – am 25.Dezember oder am 7. Januar. Für viele Ukrainer:innen geht es bei dieser Frage um mehr, als nur darum, wann sie ihren Weihnachtsbraten in den Ofen schieben und an welchem Tag sie ihre Geschenke auspacken. Es ist eine Frage der Identität. Wohin gehören sie? Rechnen sie sich zur Welt der orthodoxen Zeitrechnung, die zwar durch den Krieg in der Ukraine und die Lossagung der ukrainischen Kirchen von Moskau in Bewegung geraten ist, aber dennoch sehr stark nach Russland orientiert ist? Oder gehören sie zum „Westen“ und feiern so wie Christen in Europa, Afrika und den Amerikas?
Die ukrainischen Kirchen wagen das Experiment: Jede:r soll feiern nach eigener Vorliebe. Im neuen Jahr soll es Umfragen geben und dann eine Entscheidung getroffen werden, wie in Zukunft ukrainische Christ:innen Weihnachten feiern. Nataliia Yakymovych aus der ukrainischen Redaktion von Amal hat sich unter Frauen in Berlin umgehört. Wann und wie feiern sie Weihnachten? Mit diesem Mosaik von Stimmen verabschiedet sich die Amal-Redaktion in die Ferien. Wir wünschen allen unseren Leser:innen fröhliche Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr.
„Wir wollen mit der zivilisierten Welt feiern!“
„Weihnachten ist für mich vor allem ein Familienfest“, sagt die Schauspielerin Karina Khimchuk. „Ich möchte lieber nicht mehr am 7. Januar feiern, sondern zusammen mit der zivilisierten Welt. Allerdings bin ich jetzt in Berlin, ohne meine Familie und so werde ich wohl gar nicht feiern“, sagt sie. „Ich lebe seit acht Jahren alleine, aber bisher bin ich zu Weihnachten immer zu meinen Eltern gefahren. Es ist eine bittere Erfahrung, dass diese Tradition zu ersten Mal abreißt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und bin Jahr für Jahr zu den Nachbarn gegangen und habe vor ihrer Tür gesungen. Ich habe auf diese Art ein kleines Vermögen verdient. Zumindest kam mir das so vor, als ich jünger war. Wir waren so glücklich, wenn wir mit unseren roten Nasen nach Hause kamen und uns an den Esstisch setzten. Ich habe mir vorgenommen: Wenn ich meine Eltern im Dorf besuche, werde ich singen gehen. Egal, welche Jahreszeit es ist!“
„Warum entscheiden? Wir nehmen alle Feiertage mit!“
Die ukrainisch-deutsche Familie von Valeriya Moiseyeva verfolgt schon seit Jahren ihre ganz eigene Weihnachtsstrategie: „Im November basteln wir Adventskränze und Adventskalender. Das ist typisch Deutsch. Am 6. Dezember müssen alle Schuhe putzen und bekommen Süßigkeiten vom Nikolaus. Am 19. Dezember kommt Mykolaychyk eingeflogen und legt weitere Geschenke unter die Kopfkissen; allerdings nur für artige Kinder. Am 24. Dezember gibt es ein für alle verpflichtendes Weihnachtsessen mit Fondue, Ente und Rotkohl und an diesem Tag verschenken wir die größten Geschenke. Es folgt Sylvester. Das haben wir bisher immer mit Freunden und Sekt auf dem Sophienplatz in Kiew gefeiert. Naja, mal sehen, was wir dieses Jahr machen. Was den 6. und 7. Januar angeht: Das orthodoxe Weihnachten haben wir bisher immer in der großen Familie mit ukrainischen Liedern und natürlich der traditionellen Kutia gefeiert. Das fällt nun dieses Jahr aus und ich muss einen Weg finden, die beiden Traditionen stärker miteinander zu verschmelzen. Vielleicht können Nikolaus und Mykolaychyk ein Team bilden und vielleicht können wir abwechselnd deutsche und ukrainische Weihnachtslieder singen und den traditionellen Weizenbrei Kutia mit Gans servieren. Wir sind zwar dabei, uns nach Westen zu orientieren, aber wir wollen doch unsere Traditionen auch nicht verlieren. Schließlich lieben wir sie. Ich werde wohl unter meinen deutschen Verwandten auch noch ein bisschen Aufklärungsarbeit machen müssen, damit sie verstehen, warum die orthodoxen Ukrainer plötzlich gemäß dem westlichen Kalender feiern wollen. Ich denke, ich muss da einen Crashkurs in Geschichte anbieten und das Wissen über die Ereignisse vor 1917 auffrischen, damit sie verstehen, warum dieser Schritt richtig und logisch ist“.
„Deutsche Weihnachtsdüfte sind herrlich, aber leider fehlt mir etwas!“
„Selbstverständlich werde ich am 24. Dezember feiern!“, sagt Natalya Fibrig, Journalistin beim 1 + 1 Fernsehen. Sie erinnert sich gut daran, wie sie am Anfang, als sie vor 18 Jahren nach Deutschland kam, von den Weihnachtsmärkten und den lecker duftenden Glühweinständen begeistert war. „Die Familie meines Ex-Mannes hat die Traditionen sehr genau befolgt. Es wurden Kränze und Kalender gebastelt, Kekse gebacken und gesungen. Bis vor kurzem hat mich das auch noch berührt und ich habe zu Weihnachten eine Gans gebraten. Inzwischen bestelle ich sie und lasse liefern. Ich bin übrigens als Erwachsene hier in Berlin in der bulgarischen Kirche getauft. So stellt sich mir die Frage gar nicht: Ich habe jedes Recht, am 24. Dezember Weihnachten zu feiern. Für meine Familie in der Ukraine ist das etwas anderes: Sie feiern natürlich am 7. Januar. Meine Mutter kocht ein Menü mit 12 Gerichten. Natürlich gibt es Kutia, das ist das Wichtigste. Dieser Geschmack und die vielen Weihnachtswünsche auf Ukrainisch – das ist es, was Weihnachten zu Weihnachten macht“.
„Das richtige Weihnachten bleibt am 7. Januar!“
„Für mich bleibt Weihnachten am 7. Januar und ich werde nicht aufhören, mir zu wünschen, dass ich es mit meinen Eltern in der Ukraine feiern kann!“, sagt Olga Semenets, Mitbegründerin von Kiew Dry Jam. „Noch habe ich den Plan, Anfang des Jahres in die Ukraine zu fahren und sie zu besuchen. „Natürlich bin ich auch neugierig, die deutschen Traditionen kennenzulernen. Ich habe noch ein europäisches Weihnachten erlebt. Ich werde mich am 25. Dezember mit Freunden hier in Berlin treffen und durch die Stadt laufen. Wir wollen Schlittschuhlaufen und Glühwein trinken. Auch plane ich einen Weihnachtsbaum für meine Wohnung. Ich werde alles so gestalten, wie ich es aus den Weihnachtsfilmen kenne. Das richtige Weihnachten feiere ich dann aber zu Hause am 7. Januar!“
„Selbst die schönsten Weihnachtsmärkte können den schrecklichen Krieg nicht verdrängen!“
„Ich muss ehrlich sagen, ich habe ein großes Problem. Ich kann mich nicht zwingen, glücklich zu sein“, sagt die Psychologin Nataliya Lomonosova. „Hier in Berlin verbreiten seit Wochen Glöckchen, Lichterketten und Glühweinstände Weihnachtsstimmung, aber selbst der lieblichste Geruch nach Zimt und gebrannten Mandeln kann die Bilder aus der Ukraine nicht vertreiben. Das geht auch vielen meiner Patientinnen so. Jetzt hat sich allerdings eine gute Freundin angekündigt und will mich besuchen. Darauf kann ich mich dann doch freuen. Mein ganzes Sein ist jetzt in freudiger Erwartung und ich bereite alles vor, dass wir zusammen feiern können: Am 24. und 25. Dezember, am 31. Dezember und 1. Januar und dann auch noch einmal am 7. Januar. Es wird ein Fest, dass wir uns sehen. Freunde und Feiern hat eine neue Bedeutung bekommen. Dieses Jahr werde ich einen Brief an mich selber schreiben und meine Wünsche für das nächste Jahr aufschreiben und ich bin sicher, dass alle ukrainischen Kinder in diesem Jahr schöne Geschenke bekommen, auch wenn sie nicht ganz artig waren und auch, wenn ich selbst dafür bezahlen muss!“.
„Es ist viel praktischer zu feiern, wenn alle anderen auch feiern!“
„Wir werden feiern wie alle hier und wie die zivilisierten Nationen im Allgemeinen ,“ sagt die Englischlehrerin Natalia Reva. Ihre Familie ist im vergangenen Jahr zum zweiten Mal geflohen. 2014 mussten sie Donetsk verlassen, dieses Jahr kamen sie nach Berlin. „Dieses Jahr haben wir beschlossen, dass wir feiern wie alle hier. Es ist viel besser, Weihnachten zu feiern, wenn alle Menschen frei haben und sowieso alles geschlossen hat. Am 6. Januar haben wir abends Deutschkurs und meine Töchter und ich haben uns vorgenommen, dass wir uns weihnachtlich anziehen, unsere Gitarre mitnehmen und für unsere Lehrerin singen“.
„Ich habe einen Fuß in unserer Vergangenheit und einen in der Zukunft!“
Oksana Snidalova, vom Ukrainischen Theater Berlin und dem Ukrainischen Orchester Berlin findet zunächst keine passende Antwort auf die Weihnachtsfrage: „Es ist nicht so einfach: Ich lebe hier mit einem Fuß in der Vergangenheit und bin den Familientraditionen aus Lwiw eng verbunden. Auf der anderen Seite lebe ich ein modernes Leben hier in Deutschland. Es ist regelrecht gemein, dass das Datum des 7.Januar sowohl für das steht, was uns am liebsten ist, unsere Familientraditionen und für die, die uns das Leben geschenkt haben und aber auch mit denen eng verbunden ist, die uns angreifen und versuchen auszulöschen. Spontan bin ich sofort dabei, mit den Deutschen und den westlichen Nationen zu feiern, aber wenn dann der 7. Januar naht….wenn ich an die Vorbereitungen für das große Festessen denke: Den Geruch der Bortsch, den meine Oma gekocht hat und an das Geräusch, wenn mein Opa die Körner für die Grütze gerieben hat – dann kann ich mir nicht vorstellen, darauf zu verzichten. Jahrelang habe ich für meine Kinder eine Weihnachtswelt erschaffen. Egal, ob in der Ukraine, in Warschau, Den Hague oder Berlin: Wo immer wir waren, für meine Kinder existierte nur unsere private Weihnachtswelt. Als sie in Kindergärten und Schulen kamen, änderte sich dies. Heute warten sie am 6. Dezember auf den Nikolaus und nicht am 19. Dezember. Was Weihnachten angeht, werde ich mich nicht zu einer Entscheidung zwingen lassen. Wir werden einfach noch eine Weile doppelt feiern. Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Hoffnung. Beides können wir im Moment sehr gut gebrauchen und doppelt hält besser!“.