Rückkehr nach 13 Jahren. Das Amal-Team beim Eisessen da, wo Aboud Omaren schon als Kind Tutti-Frutti-Becher gegessen hat. |
Amal ist ein typisch deutsches Lokalmedium. Wir berichten nur, was in Berlin, Hamburg und Frankfurt und allgemein in Deutschland passiert. Punkt. Ausnahmsweise machen wir heute eine Ausnahme. Heute berichten wir aus Damaskus. Ein Team von drei Redakteur:innen ist seit letzter Woche in der syrischen Hauptstadt unterwegs. Es sind ganz persönliche Reisen zurück in ein Land, das sie vor langer Zeit verlassen haben. Es geht darum, wieder anzuknüpfen, wiederzuentdecken. Es geht aber auch darum, etwas Neues zu beginnen. Und Neuanfang – so das sehr verallgemeinerte Fazit der ersten Woche in Damaskus – liegt dort voll im Trend. Vom Frühling von Damaskus ist die Rede, „Amal-Hoffnung“ ist ein viel benutztes Wort, aber es gibt auch noch viel Misstrauen und Angst. |
In Damaskus finden in diesen Tagen täglich gleich mehrere Tagungen, Versammlungen und Workshops zu heiklen Themen statt: Wie umgehen mit den Vertretern des alten Regimes, die sich an Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben, die gefoltert und Mitbürger:innen ermordet haben? Wer verhaftet sie und wer kann über sie urteilen? Was muss geschehen, um die verschiedenen Teile der Gesellschaft wieder miteinander zu versöhnen? Wie leicht es zu neuem Unrecht kommen kann, hat das Massaker in den Dörfern an der Küste im vergangenen Monat gezeigt. Wie kann verhindert werden, dass es weitere Opfer gibt? Das sind nur einige Themen, über die diskutiert wird. Die Argumente, die ausgetauscht werden, sind wichtig. Wichtiger noch ist aber, dass überhaupt geredet wird. Endlich können alle sagen, was sie denken und das Faszinierende ist: Man hört einander zu. Das aktuelle „Damaskus Format“ für Veranstaltungen sieht so aus: Es gibt einen Input und dann Diskussion. Sehr viel Diskussion. In der Regel sitzen auf dem Podium sowohl Intellektuelle, die aus dem Exil zurückgekehrt sind als auch solche, die in den letzten Jahren in Syrien gelebt haben. Im Anschluss an ihre Vorträge gibt es Diskussion und da dabei alle, die wollen, zu Wort kommen, dauern diese Veranstaltungen oft bis spät in den Abend. Es gibt Redebedarf, aber auch Bedarf, die anderen kennenzulernen. Irgendwann ist dann Schluss, denn es gilt an den Heimweg zu denken und angesichts der Sicherheitslage ist es besser, nicht allzu spät unterwegs zu sein. |
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Das Foto zeigt die neue syrische Sozialministerin Hind Kabawat im Gespräch mit dem bekanntesten Gegner des Assad-Regimes Riad Seif bei der Wiedereröffnung des Nationalen Dialogforums. (Wegen dessen Gründung 2001 wurde der Geschäftsmann und Politiker verhaftet.) „Ist Syrien mit der neuen Regierung auf dem richtigen Weg?“, Das ist die Frage, die sich an diesem Abend viele der Anwesenden stellen. Die Ministerin versucht, Optimismus zu verbreiten: „Gemeinsam werden wir es schaffen!“, sagt sie und: „Wir sind im Frühling von Damaskus! Lasst uns zusammen das Beste für unser Land herausholen“. |
Ins Gebet vertieft. Vormittags in der Umayyaden-Moschee |
Das ist Jarmuk bzw. was davon übrig geblieben ist. Der Stadtteil von Damaskus ist eigentlich ein palästinensisches Flüchtlingslager gewesen, in dem aber auch Syrer:innen gewohnt haben. 2011 stießen hier die Freie syrische Armee und palästinensische Kräfte zusammen. Später bekämpfte sich der IS mit der syrischen Armee. 160.000 Menschen wohnten hier vor dem Krieg. |
Während in der Innenstadt von Damaskus der Krieg kaum Spuren hinterlassen hat, sind die Vororte in vielen Teilen nur noch Trümmerhaufen. Hier hat das syrische Regime bombardiert, mit Chemiewaffen die Bevölkerung ermordet, geplündert und gemordet. Mahmoud, ein 28jähriger, der eigentlich gerne Ingenieur werden wollte und jetzt bei einer Transportfirma arbeitet, kann sich gut erinnern, wie er uns seine Familie 2012 sehr plötzlich ihr Haus und ihre ganze Welt verlassen mussten. Damals nahmen die Kämpfe immer mehr zu und das Regime begann unerbittlich mit dem Bombardement. Er und seine Familien konnten gerade noch herauskommen, bevor das Viertel abgeriegelt wurde. „Vor ein paar Wochen sind wir zurückgekehrt. Von unserem Haus ist nicht viel übrig, aber es fühlt sich unheimlich gut an, dass wir zurück sind“, beschreibt Mahmoud und zeigt die Schwielen an seinen Händen: „Als Erstes habe ich die Wände so weit aufgebaut, dass wir eine Haustür einsetzen konnten. Seitdem wohnen wir wieder dort. Letztes Wochenende habe ich einen neuen Fußboden verlegt. Es wird!“ |
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Aboud Omaren, Julia Gerlach und Amloud Alamir unterwegs in Damaskus |
Um nach Jarmuk zu fahren, nimmt das Amal-Team ein Taxi. Als wir sagen, wohin wir wollen, verzieht sich das Gesicht des Fahrers: „Oh Gott, da wollt ihr hin? Seit 13 Jahren bin ich nicht mehr in die Gegend gefahren. Ich mache das jetzt nur, weil ihr so harmlos ausseht“, sagt er und schon sind wir in ein Gespräch verwickelt. Wieder geht es um Unrecht und Gewalt, aber diesmal von anderer Seite. Der Fahrer ist Alawit und hat im vergangenen Monat seinen Bruder und dessen Familie verloren. Sie wurden umgebracht, als Milizen in der Küstenregion von Haus zu Haus gingen und gnadenlos Alawiten töteten, nur weil sie Alawiten sind. „Es wird so viel von den Verbrechen Assads gesprochen und davon, dass die Verbrecher vor Gericht gestellt werden müssen. OK. Aber wer stellt die vor Gericht, die jetzt Verbrechen begehen? Wer zieht die neue Regierung und ihre Schergen zur Rechenschaft?“, fragt er und ist sichtlich erleichtert, als er uns im Trümmerfeld von Jarmuk absetzen kann. |
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