„Ich habe mit meiner Schwägerin in einem Dorf an der Küste von Syrien telefoniert und sie hat erzählt, wie die Typen am vergangenen Wochenende von Haus zu Haus, von Wohnung zu Wohnung gingen. Sie fragten: Bist du Alawitin? Als sie verneinte, gingen sie weiter und verschonten sie. In dieser Nacht wurden alle Alawitischen Bewohner ihrer Straße umgebracht“, das erzählte eine syrische Journalistin am Montag in Berlin.
Was am vergangenen Wochenende an der syrischen Küste rund um die Stadt Latakia passierte, darüber haben deutsche Medien nur sehr wenig berichtet. Kein Wunder, wir sind auch derzeit mit vielen anderen Themen beschäftigt. Dass uns so wenige Bilder erreichten, liegt aber auch daran, dass die Nachrichtenlage unübersichtlich ist. Was genau geschehen ist und wer dafür verantwortlich ist, dass mehr als tausend Menschen umgebracht wurden, ist unklar. Stimmt es, dass es zunächst einen Angriff von Anhängern des gestürzten Regimes von Bashar al Assad gab und die offizielle Armee dann versuchte, diesen zurückzuschlagen und dabei Unterstützung von Milizen aus dem extrem-radikal-islamischen Spektrum bekamen? Waren es dann diese Milizen, die Zivilisten töteten und die Bewohner ganzer Straßenzüge ermordeten, weil sie zur religiösen Minderheit der Alawiten gehören? Wo genau ist die Grenze zwischen Armee und Milizen? Wer gibt die Befehle und wer kontrolliert wen? Zu allen Unklarheiten kommen viele Falschmeldungen und gezielte Fakenews. So ist unser Kollege Anas Khabir Todesmeldungen auf Social Media nachgegangen. Da werden Fotos von bekannten Persönlichkeiten veröffentlicht mit dem Kommentar: Diese Person sei von den Regierungstruppen ermordet worden. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass diese Personen putzmunter sind und sich gar nicht in der umkämpften Provinz aufhalten. Stimmungsmache, die auch die syrische Community in Deutschland verunsichert.
War es das mit unserer Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Syrien? Zeigt jetzt der neue Machthaber in Damaskus sein wahres Gesicht oder handelt es sich um erwartbare Turbulenzen einer Gesellschaft, die jahrzehntelange Diktatur abschütteln muss? Die jüngsten Meldungen vom Anfang der neuen Woche, die Vereinbarungen mit der kurdischen Minderheit und die Erklärungen der drusischen Gebiete, dass sie mit der Regierung zusammenarbeiten wollen, lassen diese optimistische Interpretation zu.
Über die Freundschaft
Diese Achterbahnfahrt der Gefühle ist Thema des Kommentars von Khalid Al Aboud. Er beschreibt seine Freundschaft mit Leila, einer alawitischen Journalistin. Sie kannten sich schon lange vor dem Beginn der Revolution in Syrien vor (fast genau) 14 Jahren. Obwohl er als Anhänger des Aufstandes gegen Bashar al Assad aus Syrien fliehen musste und seitdem in Berlin lebt und sie als Unterstützerin des Regimes in Latakia blieb, hielten sie Kontakt. Irgendwann wurde Leila verhaftet, weil sie eine Straßenumfrage gefilmt hatte und diese bei einem Oppositionssender ausgestrahlt wurde. Was ihr in dem Jahr Gefängnis angetan wurde, erfuhr Khalid Al Aboud erst vor kurzem. Nach dem Sturz des Diktators am 8.12.2024 nahm Leila endlich die Freundschaftsanfrage auf Facebook an und berichtete von schwerer Misshandlung: Die Sicherheitskräfte seien zu ihr besonders brutal gewesen, da sie als Verräterin galt. Eine der privilegierten alawitischen Mittelschicht, die sich gegen das Regime wendete.
Den fanatischen Truppen, die am Wochenende gezielt Alawiten umbrachten, war das egal. Zum Glück hat Leila überlebt. Hier geht es zum Kommentar, der bei Chrismon und auf der deutschen Seite von Amal veröffentlicht wird.