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Auch in Europa werden afghanische Journalistinnen mit dem Tod bedroht

Arya ist eine der Glücklichen, denen die Flucht aus Afghanistan gelang.  Eigentlich heißt sie anders, aber sie will ihren echten Namen nicht veröffentlicht sehen. Man weiß ja nie und so ganz in Sicherheit fühlt sie sich nicht. Auch in Europa werden afghanische Journalistinnen bedroht.

Arya war eine erfolgreiche Moderatorin politischer Sendungen in einem der privaten Fernsehsender in Afghanistan. Am Tag nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban kehrte sie voller Angst und Besorgnis in ihr Büro zurück. Noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sie auch unter den Taliban weiter als Journalistin arbeiten können würde. Hatten die Unterhändler der Taliban doch kurz zuvor bei den Verhandlungen mit den USA im Emirat Qatar zugesichert, dass sie Frauenrechte respektieren würden, sollten sie wieder an die Macht gelangen. Doch schon an diesem ersten Arbeitstag unter neuem Regime musste Arya feststellen, dass ihre Hoffnung nicht aufgehen würde. Bevor sie ins Studio durfte, musste sie ein schwarzes Gewand und einen Gesichtsschleier anlegen. Erst dann durfte sie die Nachrichten lesen und sollte anschließend einen hochrangigen Taliban-Funktionär im Live-Gespräch interviewen.

 

Ihr Mut ist bewundernswert

Für mich, die als Kind bittere Erfahrung mit dem Leben unter der Herrschaft der Taliban gemacht hat, war Aryas Mut während des Live-Gesprächs mit den Taliban-Beamten bewundernswert. Doch es ging nicht lange gut. Bereits wenige Tage nach dieser Sendung wurde sie von den Taliban bedroht und hörte bald darauf ganz auf, als Journalistin zu arbeiten.

Diese Enttäuschung und die böse Vorahnung, welches bittere Schicksal sie und andere Journalistinnen erwartete, trieb sie im Trubel dieser Tage zum Flughafen von Kabul. Es gelang ihr unter großen Schwierigkeiten, Afghanistan zu verlassen.

 

In Deutschland gibt es kaum Karriereperspektive

Mittlerweile lebt Arya in Deutschland. Sie ist in Sicherheit, eine Karriereperspektive gibt es hier allerdings nicht für sie. Um in deutschen Medien arbeiten zu können, fehlen ihr die Deutschkenntnisse und Jobs in persischsprachigen Medien sind dünn gesät. Nur wenige Sender können ihre Mitarbeiter bezahlen oder gar anstellen.

Dies ist nicht nur Aryas Geschichte, sondern auch das traurige Los hunderter afghanischer Journalisten und Medienschaffender, die über Nacht ihre Heimat und ihre Karriere verloren haben. Das, was in den 20 Jahren ohne Taliban in Afghanistan gewachsen ist, wurde in kurzer Zeit zerstört.

Viele bedauern besonders, dass die Weltgemeinschaft dabei fast tatenlos zusieht. Obwohl die Taliban die Meinungs- und Pressefreiheit extrem einschränken und Journalist:innen verfolgen, haben die UN und andere internationale Organisationen kaum Maßnahmen ergriffen, um Druck auf die Taliban-Regierung auszuüben, in diesem Bereich positive Veränderungen herbeizuführen.

 

Es fehlt internationaler Druck

Gerade erst kürzlich hat die Organisation zur Unterstützung afghanischer Journalisten in einem von 600 afghanischen Journalisten unterzeichneten offenen Brief Antonio Guterres, den Generalsekretär der Vereinten Nationen, aufgefordert, den in Afghanistan inhaftierten und in Drittländern festsitzenden Journalisten zu helfen und die „beklagenswerte Lage“ der Medien in Afghanistan auf der Weltbühne zu thematisieren.

Nach Angaben dieser Organisation wurden nach der Machtergreifung der Taliban im August 2021 bisher etwa 387 Medien geschlossen; das entspricht 60 % der Medien in Afghanistan. 115 afghanische Journalisten wurden verhaftet, bedroht oder gefoltert.

 

In Europa werden afghanische Journalistinnen bedroht

Reporter ohne Grenzen schätzen, dass seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021, 80 % der Journalistinnen in Afghanistan ihren Job verloren oder den Beruf aufgegeben haben.

In einem neuen Bericht zeigt die in London ansässige Forschungsgruppe „Afghan Witness“ dass mit der Machtübernahme der Taliban afghanische Journalisten selbst im Ausland nicht sicher sind. Sie sind körperlichen Bedrohungen und Druck in den Sozialen Medien ausgesetzt.

 

Eklige Bilder per WhatsApp

Einige afghanische Journalistinnen, die jetzt in europäischen Ländern oder Nachbarländern Afghanistans leben, werden in dem Bericht zitiert. Sie geben an, dass Taliban-Angehörige ihnen in sozialen Netzwerken, insbesondere Twitter und TikTok, mit dem Tod drohen. Einige Frauen sagten, dass die Taliban sie bedrohten, indem sie Nachrichten mit hässlichen Bildern, Flüchen und Beleidigungen schickten und dass Taliban-Agenten afghanische Journalistinnen im Ausland ins Visier nehmen. Auch in Europa werden afghanische Journalistinnen mit dem Tod bedroht.

 

Hassbotschaften und Todesdrohungen

Ähnliches berichtet Reporter ohne Grenzen über die Situation in Schweden. Afghanische Journalistinnen und Journalisten, die in Schweden leben, erzählen von Hassbotschaften und Todesdrohungen der Taliban. Eine Journalistin berichtet über eine starke Zunahme solcher Bedrohungen seit August 2021. Oft erhalte sie sexuell anstößige Bilder. Auch in Europa werden afghanische Journalistinnen mit dem Tod bedroht.

Journalismus war für Frauen in Afghanistan noch nie ein leichter Beruf. In vielen Familien ist die Arbeit in den Medien immer noch tabu, und der Kampf gegen dieses Tabu erfordert Mut und Opferbereitschaft.

 

Es war noch nie leicht, Journalistin in Afghanistan zu sein

Nach dem Sturz der ersten Taliban-Regierung im Jahr 2001 wurden in Afghanistan zahlreiche unabhängige Medien gegründet, die es Journalistinnen ermöglichen, in der Öffentlichkeit zu agieren und über aktuelle Ereignisse zu berichten. Gefahrlos war dies aber auch damals nicht. Frauen in Afghanistan haben in den letzten zwei Jahrzehnten unzählige Opfer gebracht, um in den Medien zu erscheinen. Viele zahlten sogar mit ihrem Leben. Sie wurden ermordet oder kamen auf mysteriöse Art zu Tode.

 

Ihre Namen sollen nicht vergessen werden

Dazu gehören Frauen Shima Rezaei, Reporterin des Fernsehsenders Tolo, Zanga Amaj, Nachrichtensprecherin des Fernsehsenders Shamshad, Malala Miwand, Reporterin und Moderatorin eines lokalen Fernsehsenders in der Provinz Nangarhar im Osten Afghanistans und Dutzende anderer Reporterinnen. Jede von ihnen war eine Vorkämpferin für ein neues Frauenbild und ein Vorbild für andere Frauen. Ihr gewaltsamer Tod war eine klare Botschaft der Einschüchterung an alle Afghaninnen. Journalistinnen wie Frauenrechtlerinnen haben also auch in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Opfer gebracht, doch dürfen die Chancen, die sich auftaten, nicht kleingeredet werden. Medien spielten dabei eine wichtige Rolle, da sie Frauen eine Stimme gaben und ihre Proteste publik machten.

 

Es wird nicht mehr berichtet

Mit der Rückkehr der Taliban an die Macht, hat das Morden, die Verhaftungen und das Verschwindenlassen von Journalistinnen Fahrt aufgenommen und eine neue Qualität angenommen. So ist neu, dass über die Morde nicht mehr berichtet wird, denn es gibt kaum noch Medien, die dies zum Thema machen könnten. Zudem hätten die Opfer und die Angehörigen auch viel zu viel Angst, sich in den Medien zu äußern. Sie schweigen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Taliban.

Hier geht es zur Dari-Version des Textes. Ursprünglich ist er im Hamburger Abendblatt erschienen.