Am Eingang zum Gefängnis stand ein junger Mann, mit der Waffe über der Schulter und mit einem Lächeln im Gesicht. Ich fragte ihn, wie er sich heute hier fühle. Hier in Saidnaya, dem ehemaligen Foltergefängnis von Syrien, wo Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende ermordet worden sind. Hier, wo er jetzt stand, hofften früher Menschen auf vergeblich, etwas über ihre Angehörigen zu erfahren. Wie ist das, heute, nach dem Fall des Assad-Regimes hier zu stehen? Der Junge sah mich an. Ruhig antwortete er: „Gott sei meinem Vater gnädig.“ Mehr sagte er nicht, doch dieser Satz brachte den Schmerz Tausender Syrer zum Ausdruck, die in Saidnaya jemanden verloren haben.

َ@Amloud Alamir
Ich war in den Bus gestiegen und nach Saidnaya gefahren, um ein Stück der Geschichte meines Landes zu suchen. Schon auf dem Weg war Angst in mein Herz gekrochen, wie ein Rauchwölkchen, das langsam in einem geschlossenen Raum aufsteigt. Die Angst war genährt von den Tausenden Geschichten, die meine Landsleute über diesen Ort erzählen. Die Fahrt schien sich in die Länge zu ziehen, als würde ich nicht in ein Gefängnis, sondern in ein stilles Grab fahren.
Der bewaffnete junge Mann hatte mich angehalten, zusammen mit seinem Kollegen durchsuchten sie meine Papiere. Ich hatte mir ein Schreiben des Informationsministeriums besorgt. Doch das reichte nicht, um passieren zu dürfen. Ich musste warten, bis auch das Innenministerium mir den Zutritt genehmigte. Und so kam ich mit dem jungen Mann ins Gespräch. Er erzählte mir, dass er zuvor in Idlib mit Hay’at Tahrir al-Sham gekämpft hatte, mit den Truppen, die im Dezember 2024 das Assad-Regime gestürzt haben. Er war aus Wut Soldat geworden: Sein Vater war verhaftet und nach Sednaya gebracht worden. Er hatte nie wieder von ihm gehört. Das hatte ihn veranlasst, zu den Waffen zu greifen.
Jetzt, nach dem Ende der Diktatur, will er wie viele junge Männer, lernen, leben und träumen. Er sagt: „Ich möchte Geographie studieren und um die Welt reisen.“
Während wir dort standen, gingen mir die Tage im Dezember 2024 durch den Kopf. Es waren schmerzhafte Tage. Assad war gerade gestürzt. Sehnsüchtig warteten wir auf die Videos, die Keller und Geheimräume des Gefängnisses dokumentierten. Wir träumten davon, dass sich eine Tür öffnete und ein Sohn, ein Vater oder ein Freund heraustrat. Niemand weiß, ob es bis heute immer noch Türen gibt, die noch nicht geöffnet wurden. Und wenn ja, wie viele Seelen sind in der Dunkelheit dahinter umgekommen?
Ja, Tausende Gefangene wurden nach dem Ende der Diktatur freigelassen. Aber viele verließen die Zellen ohne Erinnerung, sie sind desorientiert oder psychisch zerrüttet. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2019 leiden 65 Prozent der aus syrischen Gefängnissen Entlassenen an einer posttraumatischen Belastungsstörung und 40 Prozent an vorübergehendem Gedächtnisverlust.
Als ich endlich meine Genehmigung hatte, eilte ich zum Gebäude, betrat die Zellen und suchte nach Geschichten, die mir ihre Gitterstäbe erzählen könnten. In einer Zelle fand ich eine Prothese, sie lag auf dem Boden. Ich stellte mir den Besitzer vor, wie er auf einem Bein hüpfte, sich an jemanden lehnte – oder vielleicht kroch. Als die Freiheit an seine Zellentür klopfte, hatte er keine Zeit, die Prothese anzulegen, die ihn zuvor lange getragen hatte.
In den Kellern sah ich viele Einzelzellen. Die Wände waren von Spinnen befallen. Sie strahlten nur Tod aus. Der Gestank erstickte meine Gedanken. Ich suchte die Folterkammern, sie waren wahrscheinlich ganz in der Nähe, aber ich konnte sie nicht finden. Ich rannte nach oben, um Luft zu holen – und plötzlich roch ich Brot. Ich war erstaunt, wie mein Geist inmitten dieser Düsternis den Duft von Leben und schönen Erinnerungen heraufbeschwören konnte.
Ich ging ein paar Schritte und fand eine kleine Bäckerei. Mehlsäcke lagen auf dem Boden. Der Geruch war keine Illusion – er war real. Es war kein Trick von meinem Verstand, der mich retten wollte.
Saidnaya ist kein Gebäude. Es ist eine Wunde im Körper der Nation.

Amloud Alamir@
Ich setzte mich auf einen Stein vor dem Eingang und versuchte zu Atem zu kommen, meine Brust von der Last zu befreien. Mein Blick fiel auf die vielen verstreuten Decken – ich erinnerte mich an die langen Tage des Wartens, die Familien draußen verbracht hatten, in der Hoffnung, ihre Kinder wiederzusehen. Manche trafen sie wieder. Andere gingen schweigend – lautlos, gesichtslos.
In diesen Stunden und Tagen entglitt manchen Familien die Hoffnung wie Sand. Andere aber hielten daran fest – wie man sich an das Brot für morgen klammert. Doch Brot war nicht für alle da.
Nach ein paar Stunden an diesem Ort geschah etwas in mir. Was also geschah mit denen, die hier durchkamen, ob Henker oder Opfer? Jeder, der hier seinen Fuß setzte, ging mit einer verletzten Seele.
Saidnaya ist nicht nur ein Gefängnis. Es ist ein Lager für den Schmerz einer ganzen Nation – ein Ort, an dem Gerechtigkeit starb und Brutalität überlebte. Das Gebäude mag befreit worden sein. Aber ist der Schmerz vorbei? Nein. Eine Nation kann eine so tiefe Wunde nicht heilen, ohne dass Gerechtigkeit herrscht – und anschließend Rechenschaft abgelegt wird.
Ich fragte die beiden Soldaten am Eingang, ob sie seit den Tagen der Befreiung hier gewesen seien. Der Jüngere antwortete, er habe diesen Posten erst vor wenigen Wochen angetreten. Ich betrachtete sein Gewehr und fragte schnell: „Wie lange trägst Du schon eine Waffe?“ Er lachte und sagte: „Seit meiner Kindheit.“ Ich fragte: „Und was willst du jetzt machen? Bleibst du hier?“ Er antwortete mit einem breiten Lächeln: „Nein, ich habe angefangen Informatik zu studieren.“
Text und Fotos: Amloud Alamir
