Lieber Herr Schmid…

Nach der Veröffentlichung meines Artikels „Zehn Jahre in Deutschland“ auf der Website von Amal Berlin erhielt ich eine freundliche Nachricht des deutschen Lesers Hansjörg Schmid – auf Deutsch und Arabisch. Er lobte meinen Artikel, dessen Gedanken teilweise seinen eigenen entsprechen, besonders beim Thema Sprache: Deutsch, das ich schwer lerne; Arabisch, mit dem er sich schwertut. Doch er hat schon gute Fortschritte gemacht und das Niveau B2 erreicht.

Seine Nachricht hat mich sehr gefreut. Sie zeigt mir, dass die Probleme der Menschen überall ähnlich sind – trotz Sprachbarrieren, die sich mit Mühe überwinden lassen. Deshalb möchte ich ihn ermutigen, Arabisch zu lernen. Es hilft ihm bei seiner humanitären Arbeit als Vormund minderjähriger Kinder aus arabischen Ländern. Es erleichtert seine Arbeit – und lässt ihn die Sprache besser beherrschen. Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt und lesen uns gegenseitig vor, um Sorgen und Gedanken auszutauschen.

Brief eines deutschen Lesers

 

تعلم اللغة العربية

Brief auf Arabisch

Mein vorheriger Artikel über meine zehn Jahre in Deutschland scheint noch nicht fertig zu sein. Und es ist in den letzten Wochen viel passiert. Einige Punkte möchte ich noch ansprechen – vor allem die deutschen Gesetze, die schwer verständlich sind, wenn man außer ein paar Alltagswörtern nichts von der Sprache versteht. Und so bemühe ich mich täglich, diese Gesetze nicht zu verletzen. Meine Sicherheit hier ist nur vorübergehend – prekär.

Stellen Sie sich vor: Eines Tages wachen Sie auf und erfahren, dass Ihr Aufenthalt endet und Sie das Land verlassen müssen. Zögern Sie, drohen Razzien im Morgengrauen. Sie lassen Ihnen nicht einmal Zeit, die Kleidung zu richten oder sich von Hund oder Katze zu verabschieden. Die Tiere nehmen Tierschutzorganisationen in Obhut, während man sie zum Abschiebeflughafen bringt.

In Ihrem Heimatland – das sich als sicher und respektvoll gegenüber den Rechten aller Lebewesen präsentiert, sogar lebloser Dinge – erwarten Sie bösartige Verhöre und hämische Sprüche:
„Endlich wieder da, du Hund! Wir haben dich schon als Leiche im Sarg erwartet, wie all die Migranten, die ihre Heimat erst im Todeskampf kennenlernen, wenn die Beerdigung kostenlos ist.“
Man macht Sie verantwortlich für jedes „Like“, „Liebe“ oder „Lachen“ auf Facebook – selbst wenn es unangebracht war.

Lieber Gott, was ist das für ein Terror?

In Deutschland droht: Abschiebung.

In der Heimat drohen: Sicherheitskräfte, die im trüben Wasser fischen und unbedingt etwas finden wollen.

Und jetzt auch noch die Stadtbilddebatte

Gerade haben wir gelernt: Es reicht in Deutschland nicht, die Sprache zu lernen, sich zu integrieren, zu arbeiten und Gesetze zu achten. Eine Partei, die an die Macht kommt, kann Ihr Leben im Nu zerstören. Sie werden nicht Deutscher – und bleiben es nicht –, selbst wenn Sie die Staatsbürgerschaft haben.

Der Kanzler ist wütend, aufgebracht, und seine Augen schmerzen. Er ist angewidert von der „visuellen Verschmutzung“, die er erlebt hat und die er als Schande für 83 Millionen Deutsche empfindet. Sie würde ihm, wenn er es wollte, die Mitgliedschaft und Führung der AfD sichern. Er sagt im Grunde:
Das Erscheinungsbild, das Image, die Struktur des Landes haben sich verändert. Die Straßen und Plätze: überfüllt mit Ausländern. Das Image: verändert. Wo sind nur die reinen, authentischen Deutschen geblieben?

Der Bundeskanzler sollte sich einmal in Flughäfen, Schwimmbädern, Banken, Unternehmen, Ministerien, Kinos, Nachtclubs, Theatern, Museen, Sportstadien, Kirchen und Bars umschauen und versuchen vorzustellen, wie es dort aussehe, ohne uns. Das gilt natürlich auch für Straßen, in Parks, auf öffentlichen Plätzen, in Cafés oder billigen Restaurants. Da sind wir auch. Wir sind Teil des Stadtbildes.

Nun sage ich dem Bundeskanzler:
Hat das Land darunter gelitten? Hat es Probleme bekommen? So ist das Leben: Jeder findet seinen Platz. Soll ein Ausländer sich in eine enge Wohnung einsperren? Hat er nicht das Recht einzukaufen, die frische Luft der Straßen, Plätze, Parks und Wälder zu atmen?

Ich will, dass seine Augen sich entspannen können

Aber OK, ich habe verstanden. Der Bundeskanzler soll sich, sowohl psychisch als auch optisch wohlfühlen. Da habe ich eine Idee. Ich werde die Angelegenheit in Ordnung bringen. Ich werde versuchen, das Erscheinungsbild des Landes zu verändern – damit er mich, wenn er aus dem Fenster des Kanzleramts schaut, als echten Deutschen sieht.

Ich beginne mit meiner Kleidung: keine Djellaba, kein Kopftuch, keine arabische oder afghanische Mütze. Ich färbe Haare, Schnurrbart und Bart blond. Ich trage eine Brille und eine Sonnenbrille, die quer über meiner Brust baumelt. Ich kaufe alte deutsche Kleidung auf dem Secondhand-Markt, dazu klobige Schuhe. Eine Flasche Bier oder ein Wurstbrötchen nehme ich mit.

Da ich eine Glatze habe, leihe ich mir eine Perücke – kein Problem. Dann gehe ich raus, schlendere durch die Stadt, lächle jeden an. Wenn mich jemand provoziert oder verärgert, schlage ich ihn nicht – wie wir es in unseren Ländern tun würden. Ich zeige ihm meinen obszönen Mittelfinger. Das reicht.

Treffe ich einen Polizisten, der selbst Einwanderer ist, und er fragt überrascht, warum ich verkleidet bin, wo doch nicht Februar ist und kein Karneval herrscht, zeige ich auf das Bild des Bundeskanzlers auf der Werbetafel am Platz. Ich murmele: Stadtbild … Stadtbild.

Ich erkläre ihm, ich versuche, das Image der Stadt dem hochverehrten Berater gefällig zu gestalten. Er habe uns kritisiert, und wir müssten das Problem angehen, bevor er eine Entscheidung trifft, die uns schadet. Wir setzen uns fest wie ein Luchs. Ich frage ihn: „Kennen Sie den Luchs?“ (Zur Erklärung: Der Luchs gilt in Libyen als hartnäckiges Tier, das sich schwer vertreiben lässt, und sich sozusagen festklebt)
Er: „Ich als Ihr Bruder aus Marokko versichere Ihnen: Der olle harzige Weihrauchkleber des Luchses ist nicht klebrig genug für diese Situation“.

Was wird kommen?

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Die politischen Parteien liefern sich einen erbitterten Machtkampf, und das Ziel sind die schutzlosen Ausländer. Eine Partei würde dich opfern, um an die Macht zu kommen; in der Politik zählt Macht mehr als Menschlichkeit.

Was sollen wir tun, um uns sicher zu fühlen? Manche unserer Kinder sind hier geboren; andere kamen als Kleinkinder und lernten in Deutschland vom Kindergarten bis zum Abitur oder zur Universität. Diese Kinder haben keine andere Muttersprache als Deutsch. Was geschieht, wenn man sie in das Land ihrer Eltern zurückschickt?

Sie würden dort als Fremde leben – unfähig, Arabisch zu schreiben, zu sprechen, Gefühle auszudrücken. Sie könnten weder Gedichte verfassen, noch Volkslieder oder Witze verstehen. Sie würden in einem Land leben, dessen Sprache ihnen fremd ist – als Ausgestoßene. Und sie würden das Land hassen lernen, in dem sie geboren wurden und das sie unter unmenschlichen Gesetzen vertrieben hat.

Unsere Kinder würden Deutschland verteidigen

Wir wissen nicht, was in diesem Land geschehen wird. Deutschland könnte angegriffen werden – wer Geschichte kennt, hält das für möglich. Dann würden die Menschen mobilisiert, Widerstand zu leisten. Ich glaube nicht, dass die Ausländer, die laut Kanzler das Ansehen der Stadt beschädigt haben, das Land im Stich lassen würden. Sie würden kämpfen – an der Seite des Landes, das sie geschützt, ernährt, behandelt und ihren Kindern Bildung ermöglicht hat.

Deutschland müsste keinem Menschen mit Migrationshintergrund sagen, was Schaddad seinem Sohn Antarah sagte:


„Greift an, und ihr seid frei.“

Unsere Kinder würden Deutschland aus Pflichtgefühl verteidigen – nicht wie Söldner, die für den erstbesten Geldgeber kämpfen.

Warum konzentrierte sich der Kanzler nur auf das Straßenbild? Warum sah er nicht die Sportteams, Krankenhäuser, Universitäten und Unternehmen – voller Ärzte, Pflegekräfte, Ingenieure, Programmierer, Fahrer, Forscher, Techniker, Angestellter, Journalisten, Übersetzer, Sportler – viele von ihnen mit Migrationshintergrund?

Treibt Deutschland seinen Fortschritt allein voran? Oder zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern, die hier einen sicheren Hafen gefunden haben?

Und nun, mein Freund, Herr Bundeskanzler, ich frage Sie:
„Ist das Bild der Stadt wirklich verzerrt?
Oder haben Vielfalt und Integration längst stattgefunden – ohne dass Sie es bemerkt haben?“

Mohammed Al-Asfar – ein libyscher Schriftsteller, der in Bonn lebt

Hier geht es zu seinem Artikel auf Arabisch:  Amal Berlin

Amal, Berlin!
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