08/04/2023

Vier Jahre alt und kein bisschen angestaubt

 

Amal, Hamburg! feiert diese Woche Geburtstag. Vier Jahre ist es her, dass wir online gegangen sind. Das Titelbild zeigt das Gründungsteam: Omid Rezaee, Nilab Langer und Ahmad al Rfifae. Das Team hat sich geändert, aber Nilab Langer ist noch dabei. Sie erinnert sich gut an ihre ersten Schritte mit Amal in Hamburg. Ihr erster Artikel handelte von einem Teenager aus Afghanistan, der in Hamburg erfolgreich eine Karriere als Boxer eingeschlagen hatte. Inzwischen hat er Abitur und macht sich bereit, ein Studium zu beginnen. Boxer ist er immer noch.

Ihre zweite Geschichte war damals genau das Gegenteil von dieser Erfolgsgeschichte. Nilab Langer stellte darin eine Familie vor, der das Schicksal und die Ausländerbehörde übel mitgespielt hatte. Kein Aufenthalt, keine Wohnung und keine Perspektive. Kürzlich traf Nilab Langer sie bei einem Spaziergang im Park. „Es geht ihnen gut. Die Probleme konnten gelöst werden“, fasst sie zusammen.

Weitere Eindrücke und Erinnerungen von vier Jahren Amal fasst sie in ihrem Essay zusammen, das Sie auf unserer Dari/Farsi- und auf der arabischen Seite finden. Vier Jahre gibt es Amal in Hamburg, fast sieben Jahre Amal in Berlin und immerhin vier Monate Amal in Frankfurt. Dass wir – wie die subject-Zeile behauptet – immer noch nicht angestaubt sind, liegt an den vielen spannenden Debatten, die wir führen. Zum Beispiel über den neuen Kinofilm: „Die Kairo Verschwörung“.

Don’t mix religion and power

Es gibt ein bekanntes Zitat des ägyptischen Kurzzeitpräsidenten Mohammed Mursi. Bei seinem Besuch in Berlin vor 10 Jahren plus zwei Monate sagte er: „Gas and alcohol don’t mix“. Er wollte damit sagen: Auch im freiheitlichen Europa gibt es Gesetze, die Freiheiten einschränken; zum Beispiel darf man nicht betrunken Auto fahren. Die Aufforderung „don’t mix….“ wurde in der Folge für viele als nicht vereinbar betrachtete Zustände weiterverwendet. Viele Gegner:innen der Herrschaft des Führers der Muslimbruderschaft riefen „Don’t mix religion and power“.  Vor zehn Jahren minus zwei Monate, am 30.6.2013  wurde der Spruch dann zu „Mursi and Egypt don’t mix“ weiterentwickelt. Demonstrant:innen in Kairo trugen es bei Protesten gegen die Herrschaft der Muslimbruderschaft auf ihren Transparenten. Mohammed Mursi verschwand von der Weltbühne und im Gefängnis.

Ägypten wird seitdem von Abdelfattah al Sisi regiert. In welchem Verhältnis stehen Religion und Macht im heutigen Ägypten? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Film „Die Kairo Verschwörung“, der seit dieser Woche in Deutschland im Kino läuft. Wobei gesagt werden muss. Es ist zwar ein Film über das aktuelle Ägypten und das leicht verfremdete Bild von Präsident al-Sisi ist zu sehen in den Amtsstuben der Staatssicherheit, die in diesem Film ebenso wie die wichtigste religiöse Instanz des sunnitischen Islam, die Al Azhar Universität eine wichtige Rolle spielt.

Interview mit Regisseur Tarik Saleh

Das Thema und der Plot sind jedoch eher zeitlos und auch nicht islamspezifisch. „Ich habe das Buch der Name der Rose von Umberto Eco gelesen und mich gefragt, ob sich diese Geschichte von Religion, Macht und Verschwörung auch in einem islamischen Kontext erzählen lässt“, so Regisseur Tarik Saleh. Im Interview mit Amal erzählt er, wie es zu dem Film kam, wie er – da er aus naheliegenden Gründen – nicht in Kairo filmen darf, Drehorte in der Türkei fand. Wie er mit der Kritik ägyptischer Journalisten umgeht und wieso es eigentlich nicht um den Islam geht, aber irgendwie dann auch doch:

„Ich habe noch nie einen großen westlichen Kinofilm gesehen, wo die Schönheit der Religion, die Ornamentik und der Koranrezitation eine Rolle spielt. Das wollte ich zeigen“. Es ist also ein Film, der sehr islamisch daher kommt und bei dem die Zuschauer einen Moment brauchen, bis sie sehen, dass es eigentlich um eine viel allgemeinere Botschaft geht: „Religion and politics don’t mix!“. Hier geht es zum Video, das in drei Sprachen verständlich ist: Tarik Saleh, der sich als Ägypter in Schweden bezeichnet, spricht Englisch. Amal-Redakteur Abdolrahman Omaren spricht Arabisch und die Filmausschnitte sind abwechselnd Deutsch und Arabisch synchronisiert. (Nobody said: don’t mix. It’s Amal)

Video von Anas Khabir

Don’t mix religion and power

Diese Überschrift könnte man auch über den Artikel unseres freien Autors Adnan Kadam schreiben. Er beschäftigt sich mit dem ewigen Thema des Kopftuches in der der deutschen Gesellschaft: Wie findet eine Frau mit Kopftuch Arbeit? Welche Hürden muss sie überwinden und mit welchen Strategien kann es dennoch gelingen?

Hebt man das Thema – ähnlich wie im Film „Die Kairo Verschwörung“ auf eine abstraktere Ebene, so läßt es sich tatsächlich als Machtkampf verstehen: Auf der einen Seite die deutsche Gesellschaft, der deutsche Staat, der über Jahrhunderte gewachsene Prinzipien entwickelt hat, dass Religion im öffentlichen Leben zwar eine Rolle spielen darf, man aber wachsam sein muss, sobald Machtstrukturen (Päpste, Kirchenführer etc) ins Spiel kommen.

Kopftücher sind hier ein Graubereich: Entweder sie werden als individueller Ausdruck von Religiosität (erlaubt) oder als Einflussnahme von religiösen Strukturen (rotes Tuch) angesehen. Dass es solche gibt und dass diese auch nach Macht streben, ist klar: #2013. (Damit sind wir wieder bei Mohammed Mursi)  Hier geht es zum Artikel von Adnan Kadam, bei dem die individuelle Erfahrung im Mittelpunkt steht.

Always mix neues Studio&Literatur

Amal hat in Berlin neue Räume bezogen und darin haben wir ein neues Studio eingerichtet. Klein aber fein. Maryam Mardani hat es mit einem Interview mit der iranischen Autorin Marjan Mohammadzadeh eingeweiht. Sie hat ein Buch zum Thema Integration und Leben in Deutschland geschrieben. Ihr besonderer Fokus liegt auf Jugendlichen und wie diese sich gut im Leben zwischen zwei Kulturen einrichten können. Hier geht es zum Interview im neuen Setting.

Video von Dawod Adil

How to mix Friedensbewegung&Waffenlieferung an die Ukraine

Für die ukrainische Redaktion war diese Woche die deutsche Friedensbewegung das wichtigste Thema: Was wollen die Ostermärschler:innen? Aus welcher Tradition und aus welcher Protestkultur kommen sie? Wie sehen sie ukrainische Geflüchtete? Sind sie eine Bedrohung?
Nataliia Yakymovych hat mehrere Ostermarsch-Demos in Berlin besucht und Nana Morozova beobachtete die anderen Demonstrationen: So demonstrierten auch Ukrainer:innen in Berlin für Frieden. Während die einen allerdings die Schwerter zu Pflugscharen-Transparente aus den 70er Jahren hervorgeholt hatten, war bei den anderen auffällig viel Leoparden-Look zu sehen.

Bilder: Studio x, Jann Wilken, Nataliia Yancovych, Anas Khabir, Unsplash

Amal berichtet auf Arabisch, Farsi/Dari und Ukrainisch über alles, was in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main wichtig ist. Gerne übersetzen wir einzelne Artikel auch ins Deutsche und stellen sie Redaktionen gegen Honorar zur Verfügung.
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