© epd-bild / Romano Siciliani

Kofferheimaten

Ahmad Alrifaee schrieb über ein Gespräch zwischen Rita und Ahmed. Ahmed und Rita sitzen am Ufer der Außenalster in Hamburg. Es ist der fünfte Sommer, in dem Ahmed in Hamburg lebt. Rita lebt in Berlin. Sie reden über die Heimat.

Ahmed: Die Heimat ist ein weiter Begriff mit vielen Aspekten. Sie ist etwas Persönliches mit einer relativen Bedeutung, die sich von Mensch zu Mensch unterscheidet.

Rita: Meine schwarzen Haare und meine braunen Augen deuten auf ferne Länder. Ich komme nicht aus einer Heimat, sondern aus einer Reihe von Heimaten. Ich kann nicht sagen, dass ich nur aus Syrien komme oder dass ich aus Deutschland bin. Für mich ist es etwas komplizierter. Ich habe das Gefühl, meine Heimat ist ein Koffer, den ich bei mir trage, ein Koffer, der aus Straßen, Bildern und Gerüchen besteht, und den ich aufmache, wenn mich die Sehnsucht erfasst.

Ahmed: Weißt du, Rita, manchmal habe ich das Gefühl, dass wir unserer Heimaten beraubt wurden. Selbst diesen Koffer, von dem du sprichst, mussten viele von uns zurücklassen, bevor sie auf der Suche nach einer anderen Heimat das Schlauchboot bestiegen. Wir stehen jetzt eigentlich vor der Wahl, ohne Heimat zu leben oder eine andere Heimat zu suchen. Ich kann nicht mit Überzeugung sagen, dass ich überhaupt keine Heimat brauche, die mir das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geben würde. (…) In Hamburg fand ich die politische und soziale Freiheit, die ich vermisst hatte, und die mir ermöglichte, ohne Angst oder Terror ich selbst zu sein. Was fehlt nun, damit mir Hamburg eine Heimat ist? Ich sagte, ich habe in Hamburg eine Heimat, nicht, dass Hamburg meine Heimat ist.

Rita: Obwohl ich fern von meiner Familie bin und es nicht viele Freunde gibt, kann ich sagen, dass ich in Berlin das Leben gefunden habe, das ich vorher immer vermisst habe: ein freies Leben ohne Sitten, Traditionen und Beschuss. Manchmal überlege ich mir, wie es wäre, wenn ich erneut auswandern müsste. Würde ich eine andere Heimat finden? Die Antwort darauf habe ich immer parat. Meine Heimat ist ein Koffer, den ich aufmache, wann immer die Grenzen mich einschränken. Ich bin eine Reihe von mobilen Heimaten, die sich mit der Ausdehnung meines Herzens erweitern.

Die Texte entstanden als Kooperation zwischen »Amal, Hamburg!«, der Körber-Stiftung und dem Hamburger Abendblatt.